Der Begriff des topologischen Zusammenhangs mag eindeutig sein, der Begriff der Trennung ist es nicht. Es gibt eine ganze Liste von verschiedenen Trennungsaxiomen in der Form $T_0,T_1,T_2,\ldots$, hinzu kommen Zwischenformen, wie zum Beispiel $T_{3{}^1/_2}$, die in der Literatur auftauchten, als die Termini $T_3$ und $T_4$ bereits fest etabliert waren. Im Folgenden werden die Trennungsaxiome $T_0$ bis $T_4$ vorgestellt. Für den weiteren Verlauf der Vorlesung relevant sind $T_2$ und $T_4$, die Hausdorff-Eigenschaft und die Normalität.
3.2.1. Definition. Man sagt, der topologische Raum $X$ erfülle das Trennungsaxiom
Einen Raum nennt man auch Hausdorffsch, wenn er $T_2$, und normal, wenn er $T_4$ erfüllt.und außerdem \(T_1\) erfüllt ist[1].
3.2.2. Beispiele und Bemerkungen.
- Das Spektrum $\mathrm{Spec}\left(\mathbb C[[x]]\right)$ des Potenzreihenrings $\mathbb C[[x]]$ besteht aus zwei Punkten, dem Nullideal $(0)$ und dem Ideal $(x)$. Das Nullideal ist in der Zariski-Topologie offen, nicht aber abgeschlossen. Von den oben genannten Trennungsaxiomen erfüllt $\mathrm{Spec}\left(\mathbb C[[x]]\right)$ einzig $T_0$.
- Die Eigenschaft $T_1$ ist äquivalent dazu, dass jeder Punkt in $X$ abgeschlossen ist. Ist nämlich jeder Punkt abgeschlossen, so bilden zu je zwei verschiedenen Punkten die jeweiligen Komplemente der Punkte offene Mengen, die jeweils den einen, nicht aber den anderen Punkt enthalten. Erfüllt umgekehrt $X$ das Axiom $T_1$ und ist $x\in X$, so besitzt jeder Punkt $y\in X\setminus\{x\}$ eine offene Umgebung $U_y$, welche $x$ nicht enthält. Die Menge $ X\setminus\{x\}=\bigcup_y U_y$ ist folglich offen.
- Typische $T_1$-Räume sind die Räume $\mathrm{MaxSpec}(R)$ der maximalen Ideale eines kommutativen Ringes $R$, versehen mit der Zariski-Topologie. Zum Beispiel kann man $\mathrm{MaxSpec}(\mathbb Z)$ mit der Menge der Primzahlen identifizieren. Jede nicht-leere offene Menge in $\mathrm{MaxSpec}(\mathbb Z)$ enthält alle bis auf endlich viele Primzahlen. Dies entspricht der Tatsache, dass jede natürliche Zahl nur endlich viele Primteiler besitzt.
- Metrische Räume besitzen alle oben angeführten Trennungseigenschaften. Es reicht, $T_4$ zu beweisen. Dazu betrachten wir für eine Teilmenge $A$ des metrischen Raumes $(X,d)$ die Abbildung $$
x\mapsto d(x,A) = \inf \{d(x,a)|a\in A\}.
$$ Anwenden des Infimums über $a\in A$ auf die Dreiecksungleichung $$d(x,a)\le d(x,y)+d(y,a)$$ liefert $d(x,A)-d(y,A)\le d(x,y) $ und wegen Symmetrie in $x$ und $y$ die Abschätzung $$\left|\,d(x,A)-d(y,A)\,\right|\le d(x,y)$$ und damit die Stetigkeit der Abbildung $x\mapsto d(x,A)$. Es gilt $d(x,A) = 0$ genau dann, wenn $x\in\overline{A}$. Sind $A$ und $B$ abgeschlossen und disjunkt in $X$, so ist $$
f:X\to[0,1],\quad x\mapsto \frac {d(x,A)}{d(x,A) + d(x,B)}
$$ eine stetige Funktion mit $f^{-1}(A) = \{0\}$ und $f^{-1}(B) = \{1\}.$ Die Mengen $U_A = f^{-1}\left([0,1/2)\right)$ und $U_B = f^{-1}\left((1/2,1]\right)$ sind disjunkte Umgebungen von $A$ und $B.$
Es folgen alternative Charakterisierungen der Hausdorff-Eigenschaft:
3.2.3. Satz. Für einen topologischen Raum $X$ sind äquivalent:
Beweis. $ i \iff ii$: Es sei $x$ ein Punkt im Hausdorff-Raum $X$. Zu $y\not=x$ findet sich eine offene Umgebung $U_y$ von $y$, so dass das Komplement $X\setminus U_y$ eine abgeschlossene Umgebung von $x$ ist. Die Gleichung $$\{x\}=\bigcap_{y\in X\setminus \{x\}}\left(X\setminus U_y\right)$$ beschreibt $x$ als Durchschnitt abgeschlossener Umgebungen.
Ist umgekehrt $x\in X$ Durchschnitt seiner abgeschlossenen Umgebungen und ist $y\not=x$, so gibt es eine abgeschlossene Umgebung $A_y$ von $x$, welche $y$ nicht enthält. Die offenen Umgebungen $\mathring{A}_y$ von $x$ und $X\setminus A_y$ von $y$ sind disjunkt.
$ i \iff iii$: Da die Mengen $U\times V$ mit $U,V\subset X$ eine Basis der Topologie von $X\times X$ bilden, ist das Komplement der Diagonale in $X\times X$ genau dann offen, wenn es zu jedem Element $(x,y)\in X\times X\setminus \Delta$ offene Mengen $U,V\subset X$ gibt mit $$(x,y)\in U\times V\subset \left(X\times X\setminus \Delta\right)\quad\iff\quad x\in U, y\in V, U\cap V=\emptyset.$$qed
Und nun zwei alternative Charakterisierungen der Normalität:
3.2.4. Satz von Tietze-Urysohn. Für einen topologischen Raum $X$ sind äquivalent:
Beweis.
- $iii\implies i$: Es seien $A,B\subset X$ abgeschlossene und disjunkte Teilmengen und $g\colon A\sqcup B\to \mathbb R$ konstant gleich $0$ auf $A$ und konstant gleich $1$ auf $B$. Diese Funktion ist stetig und lässt sich nach Tietze zu einer stetigen Funktion $G\colon X\to \mathbb R$ fortsetzen. Die offenen Umgebungen $ G^{-1}\big((-\infty,1/2)\big)$ und $ G^{-1}\big((1/2,\infty)\big)$ von $A$ und $B$ sind disjunkt.
- $i\implies ii$: Wir unterteilen den Beweis.
- Schritt: Ist $V$ offen, $D$ abgeschlossen und $D\subset V\subset X$, so existiert ein offenes $U$ mit $$D\subset U\subset\overline{U}\subset V.$$ Zu den disjunkten abgeschlossenen Mengen $D$ und $(X\setminus V)$ gibt es nämlich nach Voraussetzung disjunkte offene Umgebungen $U_D$ und $U_{X\setminus V}$. Setzen wir $U = U_D$, so gilt $$D\subset U\subset \overline{U}\subset \big(X\setminus U_{X\setminus V}\big)\subset \big(X\setminus \left(X\setminus V\right)\big)=V.$$
- Schritt: Für rationale Zahlen $0\le r\le 1$ der Form $r= k/2^n$ definieren wir rekursiv offene Mengen $U(r)$, so dass $0\le r\lt r'\le 1$ gilt $$A\subset \overline{U(r)}\subset U(r')\subset X\setminus B.$$ Induktion nach $n$: Es sei $U(1):=X\setminus B$ und $U(0)$ eine nach Schritt 1 existierende offene Menge mit $A\subset U(0)\subset\overline{U(0)}\subset U(1).$ Im Induktionsschritt sei $r = (2 k+1)/2^{n+1}$. Die Mengen $U\left(\frac k{2^n}\right)$ und $U\left(\frac{k+1}{2^n}\right)$ sind gemäß Induktionsvoraussetzung konstruiert. Schritt 1 liefert dann ein $U(r)$ mit $$\overline{U\left(\tfrac k{2^n}\right)}\subset U(r) \subset\overline{U(r)}\subset U\left(\tfrac {k+1}{2^n}\right).$$
- Schritt: Für $t\in \mathbb R$ sei $$U(t) := \begin{cases}\emptyset &\text{ falls }t\lt 0 \\ \bigcup_{r\le t} U(r)& \text{ falls } 0\le t\le 1\\ X&\text{ für }t\gt 1.\end{cases}$$ Für $t\lt t'$ gilt $\overline{U(t)} \subset U(t')$. Die Funktion $$f\colon X\to [0,1], \quad x\mapsto \inf\{t\mid x\in U(t)\}
$$ ist stetig. Es reicht, die Urbilder der Subbasis $\big\{(a,b)\mid a\lt 0 \text{ oder } b\gt 1\big\}$ von $\mathbb R$ als offen nachzuweisen. Das ist allerdings einfach: $$ f^{-1}\big((a,b)\big) =\begin{cases} \bigcup_{t\lt b}U(t)& \text{ falls }a\lt 0\\ X\setminus \left(\bigcap_{t\gt a}\overline{U(t)}\right)= X\setminus\big(\bigcap_{t\gt a} U(t)\big) &\text{ falls } b\gt 1.\end{cases}$$
- $ii\implies iii$: Wieder unterteilen wir den Beweis.
- Fall: Es sei eine stetige Funktion $g\colon C\mapsto [-1,1]$ vorgegeben. Wir konstruieren rekursiv stetige Funktionen $G_n\colon X\to [-1,1]$ mit \begin{aligned}|\,g(c)-G_n(c)\,| &\le \left(\tfrac23\right)^n \text{ für } c\in C\\ |\,G_n(x)-G_{n-1}(x)\,| &\le \tfrac12\left(\tfrac23\right)^n \text{ für } x\in X.\end{aligned} Die zweite Abschätzung impliziert, dass die Funktionenfolge $G_n$ gleichmäßig gegen eine Grenzfunktion $G\colon X\to [-1,1]$ konvergiert, die wegen der gleichmäßigen Konvergenz ebenfalls stetig ist. Die erste Abschätzung besagt, dass die Grenzfunktion $G$ die vorgegebene Funktion $g$ erweitert.
Setzen wir $G_n=0$ für $n\le 0$, so werden beide Abschätzungen erfüllt. Im Schritt von $n$ nach $n+1$ seien $G_k$ für $k\le n$ konstruiert und erfüllen beide Abschätzungen. Wir setzen $$g_n:=g-G_n\colon C\to
\left[-\left(\tfrac23\right)^n, \left(\tfrac23\right)^n \right]$$ und betrachten die Urbilder $$A:=g_n^{-1}\left(\left[-\left(\tfrac23\right)^n,-\tfrac13\left(\tfrac23\right)^n \right]\right), \quad \text{ und }\quad B:=g_n^{-1}\left(\left[\tfrac13\left(\tfrac23\right)^n,\left(\tfrac23\right)^n \right]\right).$$ Diese abgeschlossenen Mengen lassen sich nach Urysohn durch eine stetige Funktion $f\colon X\to [0,1]$ mit $f(A)=0$ und $f(B)=1$ trennen. Die Funktion $$G_{n+1}= G_n+\left(\tfrac23\right)^{n+1}\left(f-\tfrac12\right) \colon X\to \mathbb R$$ erfüllt klar die geforderte zweite Abschätzung. Die erste Abschätzung prüfen wir explizit nach: Ist $x\in A$, so ist $$g(x)-G_{n+1}(x)= g_n(x)+ \tfrac13\left(\tfrac23\right)^{n}\in \left[-\left(\tfrac23\right)^{n+1},0 \right].$$ Ist $x\in C\setminus(A\sqcup B)$, so gilt \begin{aligned}(g-G_{n+1})(x)&= \left(g_n+ \left(\tfrac23\right)^{n+1}\left(f-\tfrac12\right)\right)(x)\\
&\in \left[-\tfrac13\left(\tfrac23\right)^n,\tfrac13\left(\tfrac23\right)^n \right]+\left[-\tfrac13\left(\tfrac23\right)^n,\tfrac13\left(\tfrac23\right)^n \right]\\
&=\left[-\left(\tfrac23\right)^{n+1},\left(\tfrac23\right)^{n+1} \right].\end{aligned} Ist zuletzt $x\in B$, so erhalten wir $$g(x)-G_{n+1}(x)= g_n(x)- \tfrac13\left(\tfrac23\right)^{n}\in \left[0,\left(\tfrac23\right)^{n+1} \right].$$ - Fall: Wir betrachten nun auch unbeschränkte Funktionen $g\colon C\mapsto \mathbb R$. Die Argumentation aus dem 1. Fall liefert uns eine Erweiterung $\tilde{G}\colon X\to [-1,1]$ der Funktion $$\tilde{g}=\tfrac2\pi\arctan\circ g\colon C\to [-1,1].$$ Die abgeschlossenen Mengen $B:=C$ und $A:=\tilde{G}^{-1}(\pm1)$ lassen sich nach Urysohn durch eine stetige Funktion $f\colon X\to [0,1]$ mit $f(C)=1$ und $f\left(\tilde{G}^{-1}(\pm1)\right)=0$ trennen. Die gesuchte Erweiterung von $g$ ist dann die Funktion $$G=\tan\left(\tfrac{\pi}2\cdot f\cdot\tilde{G}\right).$$
- Fall: Es sei eine stetige Funktion $g\colon C\mapsto [-1,1]$ vorgegeben. Wir konstruieren rekursiv stetige Funktionen $G_n\colon X\to [-1,1]$ mit \begin{aligned}|\,g(c)-G_n(c)\,| &\le \left(\tfrac23\right)^n \text{ für } c\in C\\ |\,G_n(x)-G_{n-1}(x)\,| &\le \tfrac12\left(\tfrac23\right)^n \text{ für } x\in X.\end{aligned} Die zweite Abschätzung impliziert, dass die Funktionenfolge $G_n$ gleichmäßig gegen eine Grenzfunktion $G\colon X\to [-1,1]$ konvergiert, die wegen der gleichmäßigen Konvergenz ebenfalls stetig ist. Die erste Abschätzung besagt, dass die Grenzfunktion $G$ die vorgegebene Funktion $g$ erweitert.
qed
3.2.5. Satz. Die abgeschlossenen Teilmengen $A\subset \mathbb R^a$ und $B\subset \mathbb R^b$ seien homöomorph. Dann sind auch die Komplemente von $A\times \{0\}$ und $\{0\}\times B$ in $\mathbb R^a\times \mathbb R^b$ homöomorph.
Beweis. Es sei $\phi\colon A\to B$ ein Homöomorphismus mit Inversem $\psi$. Nach Tietze lassen sich diese zu Abbildungen $\Phi\colon \mathbb R^a\to\mathbb R^b$ und $\Psi\colon \mathbb R^b\to\mathbb R^a$ fortsetzen. Über die resultierenden Abbildungen $\Phi$ und $\Psi$ lässt sich wenig sagen. Aber die damit konstruierten Abbildungen \begin{aligned}L\colon (x,y)&\mapsto \left(x,y-\Phi(x)\right)\\ R\colon (x,y)&\mapsto \left(x-\Psi(y),y\right)\end{aligned} sind Homöomorphismen von $\mathbb R^a\times \mathbb R^b$ in sich selbst. Die Abbildung $L$ bildet den Graphen $\Gamma(\phi)=\Gamma(\psi)$ homöomorph auf $A\times \{0\}$ ab. Genauso bildet $R$ diesen Graphen homöomorph auf $\{0\}\times B$ ab. Folglich bildet $R\circ L^{-1}$ die Komplemente von $A\times \{0\}$ und $\{0\}\times B$ homöomorph ineinander ab.
qed
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[1] Die Literatur ist sich nicht einig, was normal sein soll; manche Autoren verlangen zur Normalität zusätzlich die Hausdorff-Eigenschaft \(T_2\) oder äquivalent \(T_1\). Die wichtigen Aussagen, nämlich das Lemma von Urysohn und der Satz von Tietze, benötigen diese Eigenschaft jedoch nicht. Vielen Dank an Herrn Svinger, der mich auf diese Ungereimtheit aufmerksam gemacht hat.