Reelle und komplexe Strukturen

Ein komplexer Vektorraum $W$ kann aufgefasst werden als ein reeller Vektorraum, versehen mit einer Zusatzstruktur. Es bezeichne $W_\mathbb R$ den zugrundeliegenden reellen Vektorraum: Als Gruppen bezüglich der Vektoraddition stimmen $W$ und $W_\mathbb R$ überein. Der Unterschied ist, dass auf $W$ der Körper $\mathbb C$ durch Multiplikation mit Skalaren operiert, auf $W_\mathbb R$ dagegen der Körper $\mathbb R$. Ist $w_1, \ldots, w_m$ eine Basis von $W$ als komplexer Vektorraum, so ist $w_1,\ldots,w_n,iw_1,\ldots,iw_m$ eine Basis von $W_\mathbb R$ als reeller Vektorraum. Beim Übergang von $W$ zu $W_\mathbb R$ vergessen wir die Multiplikation mit imaginären Zahlen auf $W$.

Definition. Eine komplexe Struktur auf einem reellen Vektorraum $V$ ist ein Endomorphismus $\mathcal I\in\mathrm{end}_\mathbb R(V)$, für den gilt $\mathcal I^2=-\mathrm{id}_V$.

Ist $W$ ein komplexer Vektorraum, so ist $(W_\mathbb R,\mathcal I)$ ein reeller Vektorraum mit komplexer Struktur, wenn $\mathcal I:w\mapsto iw$ die Multiplikation mit der imaginären Einheit bezeichnet. Ist umgekehrt $(V,\mathcal I)$ ein reeller Vektorraum mit komplexer Struktur, so lässt sich in offensichtlicher Weise eine Multiplikation mit Skalaren $\zeta=\xi+i\eta\in \mathbb C$ definieren:
\begin{eqnarray*}
{\mathbb C}\times V&\to& V\\
(\zeta,v)&\mapsto &\xi v + {\mathcal I}(\eta v).
\end{eqnarray*} Interessant wird diese Begriffsbildung zum Beispiel, wenn man verschiedene komplexe Strukturen auf ein und demselben Vektorraum betrachten will. Es ist klar, dass auf einem ungerade dimensionalen reellen Vektorraum keine komplexe Struktur existieren kann. Die Menge $\mathbb I(V)$ von komplexen Strukturen auf einem gerade dimensionalen reellen Vektorraum $V$ ist gleich der Menge der Endomorphismen von $V$, deren Quadrat gleich $-\mathrm{id}_V$ ist.

In analoger Weise kann man auch einen reellen Vektorraum als einen komplexen Vektorraum mit Zusatzstruktur verstehen. Die Definition dazu lautet:

Definition. Eine reelle Struktur auf einem komplexen Vektorraum $W$ ist eine konjugiert-lineare Abbildung $\tau:W\to W$, für die gilt $\tau^2=\mathrm{id}_W$.

Zur Erinnerung: Eine Abbildung $\tau:W\to W$ heißt konjugiert-linear, wenn sie additiv ist $\tau(w+w')=\tau(w)+\tau (w')$ und für $\zeta\in \mathbb C$ die Gleichung $\tau(\zeta w)=\overline\zeta\tau(w)$ erfüllt. Nur der Vollständigheit halber erwähne ich hier eine Definition, die im späteren Verlauf der Vorlesung einmal eine Rolle spielen wird:

Definition. Eine quaternionale Struktur auf einem komplexen Vektorraum $W$ ist eine konjugiert-lineare Abbildung $\mathcal J:W\to W$, für die gilt $\mathcal J^2=-\mathrm{id}_W$.

Analog wie zuvor lässt sich aus einem reellen Vektorraum in kanonischer Weise ein komplexer Vektorraum mit reeller Struktur konstruieren und umgekehrt.

Ist $V$ ein reeller Vektorraum, so ist $\mathbb C\otimes_\mathbb RV$ der komplexe Vektorraum, der durch den reellen Vektorraum $V\oplus V$ mit komplexer Struktur $\mathcal I:(v,v')\mapsto (-v',v)$ beschrieben wird. Die reelle Struktur $\tau$ auf $\mathbb C\otimes_\mathbb RV$ wird beschrieben durch $\tau(v,v')=(v,-v')$.

Sei umgekehrt $(W,\tau)$ ein komplexer Vektorraum mit reeller Struktur. Die Abbildung $\tau$ ist reell linear und es gilt $$\tau^2-\mathrm{id}_W=(\tau+\mathrm{id}_W)\circ(\tau-\mathrm{id}_W)=0.$$ Der Vektorraum $W_\mathbb R$ zerfällt also in eine Summe $$W_\mathbb R=Re(W)\oplus Im(W)$$ von Eigenräumen $Re(W)$ zum Eigenwert $+1$ und $Im(W)$ zum Eigenwert $-1$. Die reellen Untervektorräume $Re(W)$ und $Im(W)$ von $W_\mathbb R$ werden duch Multiplikation mit der komplexen Einheit $i$ isomorph aufeinander abgebildet: Ist nämlich $w\in Re(W)$, also $\tau(w)=w$, so gilt $\tau(iw)=\overline i \tau(w)=-iw$, also $iw\in Im(W)$. Ist umgekehrt $w\in Im(W)$, also $\tau(w)=-w$, so gilt $\tau(iw)=\overline i \tau(w)=iw$, also $iw\in Re(W)$.

Wir haben nun zwei Konstruktion: Die eine fabriziert aus einem reellen Vektorraum $V$ einen komplexen Vektorraum $\mathbb C\otimes_\mathbb RV$ mit reeller Struktur $\tau$. Die andere fabriziert aus einem komplexen Vektorraum mit reeller Struktur $(W,\tau)$ den reellen Vektorraum $Re(W)$. Die beiden Konstruktionen sind zueinander invers im folgenden Sinne: Die Kompositionen der beiden Konstruktionen liefern Objekte, die auf kanonische Weise mit den Ausgangsobjekten identifiziert werden können.

Nachdem wir nun die Objekte kennen, sollten wir uns die zugehörigen Abbildungen ansehen.

Definition. Sind $(V,\mathcal I)$ und $(V',\mathcal I')$ reelle Vektorräume mit komplexen Strukturen und $\phi:V\to V'$ ein Homomorphismus von reellen Vektorräumen, so nennt man $\phi$ komplex linear, falls gilt $\mathcal I'\circ\phi=\phi\circ\mathcal I$.

Ist $\phi:W\to W'$ ein Homomorphismus zwischen komplexen Vektorräumen, so ist $\phi:W_\mathbb R\to W'_\mathbb R$ komplex linear bezüglich der durch die Multiplikation mit der imaginären Einheit beschriebenen komplexen Strukturen $\mathcal I$ und $\mathcal I'$ auf $W_\mathbb R$ und $ W'_\mathbb R$.

Definition. Sind $(W,\tau)$ und $(W',\tau')$ komplexe Vektorräume mit reellen Strukturen und $\psi:W\to W'$ ein Homomorphismus, so nennt man $\psi$ reell linear, falls gilt $\tau'\circ\psi=\psi\circ\tau$.

Ist $\psi$ reell linear und ist $w\in Re(W)$, so gilt $\tau'(\psi(w))=\psi(\tau(w))=\psi(w)$, also $\psi(w)\in Re(W')$. Ein reell linearer Homomorphismus induziert somit einen Homomorphismus zwischen den korrespondierenden reellen Vektorräumen.
Ist umgekehrt $\phi:V\to V'$ ein Homomorphismus zwischen reellen Vektorräumen, so wird eine Abbildung $$\mathbb C\otimes_\mathbb R \phi:\mathbb C\otimes_\mathbb R V\to \mathbb C\otimes_\mathbb R V'$$ definiert durch $(v_0,v_1)\mapsto \left(\phi(v_0),\phi(v_1)\right)$. Diese Abbildung ist komplex linear bezüglich der komplexen Strukturen $\mathcal I$ und $\mathcal I'$ und reell linear bezüglich der reellen Strukturen $\tau $ und $\tau'$.

Nachdem wir uns mit der nötigen Begriffsbildung gewappnet haben, können wir uns reellen und komplexen Skalarprodukten zuwenden.

Sei zuerst $(W,\langle.,.\rangle_W)$ ein unitärer Vektorraum. Wir betrachten Realteil und Imaginärteil der Sesquilinearform $\langle .,.\rangle_W$ gesondert: \begin{eqnarray*}
g(w,w')&:= Re\langle w,w'\rangle_W\\
\omega(w,w')&:= Im\langle w,w'\rangle_W
\end{eqnarray*} Beide Abbildungen $g$ und $\omega$ sind Bilinearformen auf dem reellen Vektorraum $W_\mathbb R$. Die Bilinearform $$g:
W_\mathbb R\times W_\mathbb R\to \mathbb R$$ ist symmetrisch und positiv definit, also ein reelles Skalarprodukt. Die Bilinearform $$\omega:W_\mathbb R\times W_\mathbb R\to \mathbb R$$ ist schiefsymmetrisch und somit eine symplektische Form. Ist $W$ endlich dimensional, so ist diese symplektische Form regulär wegen $\omega(w,iw)=g(w,w)\gt 0$ für $w\in W\setminus 0$. Bezeichnet $\mathcal I$ wie oben die durch Multiplikation in $W$ mit der imaginären Einheit $i$ beschriebene komplexe Struktur auf $W_\mathbb R$, so gelten die Gleichungen \begin{eqnarray*}
g(w,w')&= g\left( \mathcal I(w),\mathcal I(w')\right)\\
\omega(w,w')&= \omega\left(\mathcal I(w),\mathcal I(w')\right).
\end{eqnarray*} Darüber hinaus lassen sich $g$ und $\omega$ vermittels $\mathcal I$ ineinander verwandeln. Es gilt nämlich \begin{eqnarray*}
g(w,w')&= \omega\left( w,\mathcal I(w')\right)\\
\omega(w,w')&= g\left(\mathcal I(w),w'\right).
\end{eqnarray*}

Lemma. Ist $V$ ein reeller Vektorraum mit komplexer Struktur $\mathcal I$ und $g$ eine positiv definite, reellwertige Bilinearform auf $V$, für die gilt $g\left(\mathcal I(v),\mathcal I(v')\right)=g(v,v')$ für alle $v,v'\in V$, so wird durch $$\langle v,v'\rangle := g(v,v')+ig\left(\mathcal I(v),v'\right)$$ ein unitäres Skalarprodukt auf dem komplexen Vektorraum $(V,\mathcal I)$ definiert.

Beweis. Für $\zeta=\xi+i\eta\in \mathbb C$ gilt
\begin{eqnarray*}
\left\langle \zeta v,v'\right\rangle&= &g\left( (\xi+\eta \mathcal I)v,v'\right)+ig\left( \mathcal I(\xi+\eta \mathcal I)v,v'\right)\\
&=&g\left(\xi v,v'\right)+g\left(\eta \mathcal I(v),v'\right)+ig\left(\xi\mathcal I(v),v'\right)+ig\left(\eta\mathcal I^2(v),v'\right)\\
&=& (\xi-i\eta)\left(g(v,v')+ig\left(\mathcal I(v),v'\right)\right)\\
&=&\overline\zeta\left\langle v,v'\right\rangle.
\end{eqnarray*} Dies zeigt die Semi-Linearität im ersten Eintrag. Außerdem gilt
\begin{eqnarray*}
\left\langle v',v\right\rangle&= &g\left( v',v\right)+ig\left( \mathcal I(v'),v\right)\\
&=&g\left( v,v'\right)+ig\left( \mathcal I(v),\mathcal I^2(v')\right)\\
&=& \overline{\left\langle v,v'\right\rangle}.\end{eqnarray*} Damit folgt die Symmetrie wie auch die Linearität im zweiten Eintrag.
qed.

Korollar. Ist $\left(V,\langle.,.\rangle_V\right)$ ein euklidischer Vektorraum, so existiert auf dem komplexen Vektorraum $W=\mathcal C\otimes_\mathbb R V$ mit reeller Struktur $\tau$ in kanonischer Weise ein unitäres Skalarprodukt $\langle.,.\rangle_W$ mit $$\left(V,\langle.,.\rangle_V\right)=Re\left(W,\langle.,.\rangle_W\right).$$ Es gilt die Gleichung $$\langle\tau(w),\tau(w')\rangle_W=\overline{\langle w,w'\rangle_W}$$

Beweis. Es seien $w=(v_0,v_1)$ und $w'=(v_1',v_1')$ Elemente in $W=V\oplus V$. Durch $$g(w,w'):=\langle v_0,v_0'\rangle_V +\langle v_1,v_1'\rangle_V$$ wird ein euklidisches Skalarprodukt auf $W$ definiert. Dieses ist invariant unter den Operationen $\mathcal I:(v_0,v_1)\mapsto (-v_1,v_0)$ und $\tau:(v_0,v_1)\mapsto (v_0,-v_1)$, d.h. es gilt $g\left(\mathcal I(w),\mathcal I(w')\right)=g(w,w')$ und $g\left(\tau(w),\tau(w')\right)=g(w,w')$. Nach dem obigen Lemma lässt sich dieses euklidische Skalarprodukt eindeutig zu einem unitären Skalarprodukt auf $W$ erweitern. Aus der Identität $\mathcal I\tau=-\tau\mathcal I$ folgt \begin{eqnarray*} \langle\tau(w),\tau(w')\rangle_W&=&g\left(\tau(w),\tau(w')\right)+ig\left(\mathcal I(\tau(w)),\tau(w')\right)
\\&=&g\left(\tau(w),\tau(w')\right)-ig\left(\tau\left(\mathcal I(w)\right),\tau(w')\right)
\\&=&g(v,v')-ig\left(\mathcal I(w),w'\right)
\\&=&\overline{\langle w,w'\rangle_W}.
\end{eqnarray*} qed.

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