Quotientenraum

Die Konstruktion der ganzen Zahlen aus Paaren von natürlichen Zahlen, wie auch die Konstruktion der Restklassenringe $\mathbb{Z}/m\mathbb{Z}$ aus den ganzen Zahlen erfolgte jeweils unter Zuhilfenahme einer Äquivalenzrelation. Bei der Konstruktion der Restklassenringe wurden zwei Zahlen als äquivalent betrachtet, wenn die Differenz durch $m$ teilbar war. Die hier zu behandelnde Konstruktion von Quotientenräumen $V/U$ ist sehr ähnlich. Zwei Vektoren in einem Vektorraum $V$ werden als äquivalent betrachtet, wenn ihre Differenz in dem Untervektorraum $U$ liegt. Wie wir sehen werden, bilden die Äquivalenzklassen wieder einen Vektorraum.
Sei $V$ ein Vektorraum über $K$ und $U\subset V$ ein Untervektorraum. Wir definieren eine Äquivalenzrelation ${\sim}_U$ durch $$
v{\sim}_Uv'\colon \Leftrightarrow v-v'\in U.
$$ Dass dies eine Äquivalenzrelation ist, folgt unmittelbar aus der Tatsache, dass $U$ als Untervektorraum abgeschlossen ist gegenüber Vektoraddition:

  • Symmetrie: $v-v'\in U \Leftrightarrow v'-v\in U$
  • Reflexivität: $v-v=0\in U$
  • Transitivität: $v-v'\in U, \; v'-v''\in U \Rightarrow (v-v')+(v'-v'')=v-v''\in U.$

Die Äquivalenzklasse eines Elementes $v\in V$ wird mit $\overline v$ oder auch mit $v+U$ bezeichnet. Wir werden im Folgenden die Menge der Äquivalenzklassen näher untersuchen.

Satz. Ist $U$ ein $K$-Untervektorraum von $V$, so ist die Menge $V/U$ der Äquivalenzklassen unter der Äquivalenzrelation $\sim_U$ in natürlicher Weise ein $K$-Vektorraum. Er wird Quotientenvektorraum genannt. Die Abbildung $q\colon V\to V/U,\;v\mapsto\overline{v}$ ist linear.

Beweis. Wir müssen Addition und Skalarmultiplikation definieren. Seien dazu $\overline{v}, \overline{v'}\in V/U$ gegeben. Dann sei
$$\begin{aligned}
\overline{v} +\overline{v'}&\colon =
\overline{v+v'}\\
\text{und}\qquad\qquad k\cdot \overline{v}&\colon = \overline{k \cdot v}.
\end{aligned}
$$ Zum Nachweis der Wohldefiniertheit wählen wir Repräsentanten $w\in\overline{v}$ und $w'\in\overline{v'}$. Dann gilt $w-v\in U$ und $w'-v'\in U$. Es folgt
$$
\begin{aligned}
(w+w')-(v+v')&=(w-v)+(w'-v')\in U.\\
k v-k w&= k (v-w)\in U.
\end{aligned}
$$ und damit die Wohldefiniertheit $\overline{v+v'}=\overline{w+w'}$ und $\overline{kv}=\overline{kw}.$
Das Prüfen der Vektorraumaxiome ist jetzt trivial. Zum Beispiel folgt die Assoziativität aus der Gleichungskette:
$$
\begin{aligned}
(\overline{v}+\overline{v'})+\overline{v''}&=\overline{(v+v')}+\overline{v''}=\overline{(v+v')+v''}\\
&=\overline{v+(v'+v'')}=\overline{v}+(\overline{v'+v''})= \overline{v}+(\overline{v'}+\overline{v''}).
\end{aligned}
$$ Die dritten Gleichung benutzt die Assoziativität der Addition im Vektorraum $V$. Die restlichen Gleichungen folgen aus der Wohldefiniertheit der Vektorraumoperationen auf dem Quotientenraum.
qed

Satz. Ist $U\subset V$ ein Untervektorraum, und ist $f\colon V\to W$ eine lineare Abbildung, so existiert genau dann eine lineare Abbildung $\overline{f}\colon V/U\to W$ mit $f=\overline{f}\circ q$, wenn $U\subset\text{kern} (f)$ ist. Die Abbildung $\overline{f}$ ist durch diese Eigenschaft dann eindeutig bestimmt.

Beweis. Der Kern von $q$ besteht aus der Äquivalenzklasse des Nullvektors, also $ker(q)=U$. Existiert $\overline{f}$ mit $f=\overline{f}\circ q$, so ist $\ker(f)=\ker(\overline{f}\circ q) \supset \ker(q)=U$.
Ist umgekehrt $U\subset \ker(f)$, so folgt aus einer Äquivalenz $v{\sim}_Uv'$ die Gleichung \[f(v)-f(v')=f(v-v')=0,\] zumal $v-v'\in U\subset \ker(q)$ von $q$ liegt. Somit ist $\overline{f}(\overline{v})\colon=f(v)$ wohldefiniert. Die Eindeutigkeit ist offensichtlich.
qed

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