Es seien $A$ und $B$ zwei Punkte in der Ebene oder im Raum. Wir bezeichnen mit $|AB|$ den Abstand der Punkte. Wir lassen uns auf keine Maßeinheit festlegen: $|AB| \in \mathbb{R}$ ist eine nicht negative reelle Zahl, die je zwei Punkten zugeordnet wird. Wir stellen uns den Abstand zweier Punkte vor als die Länge der kürzesten Verbindung zwischen den beiden Punkten. Ist $M$ also ein weiterer Punkt der Ebene, so gilt die Dreiecksungleichung:
\[ |AB| \leq |AM| + |MB|.\] Diese besagt anschaulich, dass die Verbindung höchstens länger wird, wenn wir auf dem Weg von $A$ nach $B$ den Punkt $M$ aufsuchen. Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass für den Abstand die Gleichung $|AB|=|BA|$ gilt. Der Abstand ist unabhängig davon, von wo ausgehend man misst. Ebenso gilt: Der Abstand $|AB|$ ist genau dann Null, wenn der Punkt $A$ gleich dem Punkt $B$ ist.
Charakterisierung von Strecken. Die Strecke $\overline{AB}$ besteht aus allen Punkten $M$ der Ebene oder des Raums, bei denen das Gleichheitszeichen in der Dreiecksungleichung gilt.
\begin{equation}\label{Strecke}
|AB| = |AM| + |MB|.
\end{equation}
Eine Eigenschaft von Strecken. Es sei $M$ ein Punkt auf der Strecke $\overline{AB}$. Ein weiterer Punkt $N$ gehört genau dann zur Strecke $\overline{AB}$, wenn er zur Strecke $\overline{AM}$ oder zur Strecke $\overline{MB}$ gehört.
Dies stimmt mit der Vorstellung von der Strecke in der Ebene oder im Raum überein. Auf einer Kugeloberfläche (wie zum Beispiel -näherungsweise- auf der Erde) ist diese Eigenschaft nicht immer erfüllt. Sind nämlich $A$ und $B$ Nord- und Südpol der Erde, so ist jeder Längengrad eine kürzeste Verbindung zwischen den Polen. Sind $M$ und $N$ zwei verschiedene Punkte auf den Äquator, so gehören beide Punkte jeweils zu kürzesten Verbindungen zwischen $A$ und $B$. Der Punkt $N$ gehört aber weder zur kürzesten Verbindung von $A$ nach $M$ noch zur kürzesten Verbindung von $M$ nach $B$.
Eine Gerade ist die Verlängerung einer Strecke. Wir präzisieren diese Vorstellung wie folgt:
Charakterisierung von Geraden. Drei Punkte $A,B,C$ liegen genau dann auf einer Geraden, wenn einer der Punkte zu der Strecke gehört, die von den beiden anderen Punkten gebildet wird.
Prinzip 1.1. Zu je zwei unterschiedlichen Punkten $A,B$ der Ebene oder des Raums gibt es genau eine Gerade, die beide Punkte $A$ und $B$ enthält.
Definition. Zwei Geraden $g$ und $h$ in der Ebene $\mathbb{E}$ nennt man parallel, im Zeichen\[
g \parallel h,
\] wenn sie entweder gleich sind oder keine gemeinsamen Punkte besitzen.
Prinzip 1.2 (Parallelenaxiom [1]). Es sei $g$ ein Gerade von $\mathbb{E}$ und $P$ ein Punkt. Dann gibt es genau ein zu $g$ parallele Gerade $h$, die den Punkt $P$ enthält.
Es sei $g$ eine Gerade und $P \in g$ ein Punkt. Dann zerlegt $P$ die Gerade in zwei Strahlen. Das bedeutet genauer folgendes: Es gibt eine Zerlegung von $g$ in disjunkte Teilmengen:
\[
g = \breve{s} \cup \{P \} \cup \breve{t}.
\] Es seien $A,B$ zwei von $P$ verschiedene Punkte von $g$. Dann enthält die Strecke $\overline{AB}$ genau dann den Punkt $P$, wenn einer der Punkte zu $\breve{s}$ und der andere zu $\breve{t}$
gehört. Die Mengen $s = \{P \} \cup \breve{s}$ und $t = \{P \} \cup \breve{t}$ nennt man Strahlen mit dem Anfangspunkt $P$. Man nennt diese beiden Strahlen entgegengesetzt und schreibt:
\[
s = -t \; \text{und} \; t = -s.
\]
In ähnlicher Weise teilt eine Gerade $g$ eine Ebene $\mathbb{E}$ in zwei Halbebenen ein: Es gibt eine Zerlegung in disjunkte Teilmengen
\[
\mathbb{E} = \breve{H}_1 \cup g \cup \breve{H}_2.
\] Es seien $A$ und $B$ zwei Punkte von $\mathbb{E}$, die nicht in $g$ liegen. Die Verbindungsstrecke $\overline{AB}$ enthält genau dann einen Punkt von $g$, wenn der eine Punkt in $\breve{H}_1$ und der andere Punkt in $\breve{H}_2$ liegt. Die Mengen $H_i = g \cup \breve{H}_i$ für $i =1,2$ nennt man Halbebenen.
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[1] Dies Parallelenaxiom ist charakteristisch für die ebene euklidische Geometrie, wie sie in dieser Vorlesung behandelt wird. Tatsächlich lassen sich auch andere, in sich konsistente Geometrieen konstruieren, in denen das Parallelenaxiom nicht gilt: In der projektiven Ebene gibt es keine Parallelen; je zwei Geraden schneiden sich. In der hyperbolischen Ebene gibt es zu jeder Geraden und jedem Punkt außerhalb der Gerade unendlich viele verschiedene Parallelen, welche den gegebenen Punkt enthalten.