Zur Erinnerung: Ein punktierter topologischer Raum \((X,x)\) ist ein Raum mit einem ausgezeichneten Punkt \(x\in X\). Stetige Abbildungen \(f\colon (X,x)\to (Y,y)\) zwischen punktierten Räumen heißen punktiert, wenn gilt \(f(x)=y\).
6.3.1. Definition. Eine punktierte Überlagerung \((E,e)\) von \((B,b)\) heißt universelle Überlagerung, falls es zu jeder punktierten Überlagerung \((E',e')\) von \((B,b)\) einen eindeutig bestimmten Morphismus \(f\colon E\to E'\) von Überlagerungen gibt mit \( f(e)=e'\).
6.3.2. Proposition. Ist \(B\) lokal zusammenhängend und zusammenhängend, \(b\in B\), und \((E,e_0)\) eine universelle Überlagerung, so ist \(E\) galoisch und jede Überlagerung von \(B\) ist zu \(E\) assoziiert.
Beweis. Ist \(B\) lokal zusammenhängend, so auch \(E\). Bezeichnet \(E_0\) die Zusammenhangskomponente von \(e_0\), so ist \(E_0,e_0\) eine punktierte Überlagerung von \((B,b)\). Die universelle Eigenschaft der universellen Überlagerung liefert einen eindeutigen Morphismus \(f\in \mathcal{Cov}_B(E,E_0)\) mit \(f(e_0)=e_0\). Bezeichnet \(i\colon E_0\hookrightarrow E\) die Inklusion, so erfüllt \(i\circ f\in \mathcal{Cov}_B(E,E)\) die Gleichung \(i\circ f(e_0)=e_0\). Aus der Universalität von \(E\) von \(i\circ f=\mathrm{id}_E\). Damit ist \(i\) surjektiv und folglich \(E_0=E\) zusammenhängend.
Mit \(e'\in E_b\) ist \((E,e')\) eine punktierte Überlagerung von \((B,b)\). Die universelle Eigenschaft liefert ein eindeutiges \(g\in \mathcal{Cov}_B(E,E)\) mit \(g(e_0)=e'\). Die Zuordnung \(e\mapsto (e,g(e))\) beschreibt einen globalen Schnitt der Überlagerung \(
\mathrm{pr}_1\colon E\times_BE\to E\). Nach 6.0.2 folgt, dass diese Überlagerung trivialisierbar ist und nach 6.2.2 ist \(E\) galoisch, insbesondere ein \(G=\mathrm{Aut}_B^0(E)\)-Hauptfaserbündel.
Ist \(X\to B\) eine Überlagerung, so induziert die rechte \(G\)-Operation eine linke \(G\)-Operation auf der diskreten Menge \( \mathcal{Cov}_B(E,X)\) vermittels der Vorschrift \[gh(e)=h(eg)\quad \text{ für }g\in G, h\in \mathcal{Cov}_B(E,X), e\in E.\] Die universelle Eigenschaft liefert eine Bijektion \(X_b\to \mathcal{Cov}_B(E,X)\). Insbesondere ist die Abbildung \[E\times^G \mathcal{Cov}_B(E,X)\to X,\quad [e,h]\mapsto h(e)\] ein Morphismus von Überlagerungen von \(B\), welcher auf den Fasern über \(b\in B\) bijektiv ist und, da \(B\) zusammenhängend ist, folglich ein Isomorphismus von Überlagerungen.
qed
6.3.3. Definition. Ein topologischer Raum \(X\) heißt einfach zusammenhängend, wenn jede Überlagerung trivialisierbar ist.
6.3.4. Bemerkung. Ein einfach zusammenhängender Raum ist insbesondere zusammenhängend. Ist nämlich \(X=U\cup V\) eine Vereinigung nicht-leerer disjunkter offener Teilmengen, so ist die Inklusion \(U\hookrightarrow X\) eine nicht trivialisierbare Überlagerung.
6.3.5. Satz. Es sei \(p\colon E\to B\) eine Überlagerung und \(f\colon X\to B\) eine stetige Abbildung eines einfach zusammenhängenden Raumes \(X\). Für Punkte \(e\in E\) und \(x\in X\) gelte \(p(e)=f(x)\). Dann existiert eine eindeutig bestimmte Hochhebung \(\widetilde{f}\colon X\to E\) von \(f\) mit \(\widetilde{f}(x)=e\).
Beweis. Das Faserprodukt \(E\times_BX\) ist eine Überlagerung von \(X\), also trivialisierbar. Folglich existiert zu \((e,x)\in
E\times_BX\) ein Schnitt \(\phi\colon X\to E\times_BX\) dieser Überlagerung mit \(\phi(x)=(e,x)\). Da \(X\) zusammenhängend ist, ist dieser Schnitt eindeutig bestimmt. Die Komposition \(\widetilde{f}:=\mathrm{pr}_1\circ \phi\) ist dann die Hochhebung von \(f\).
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Wir erhalten damit unmittelbar ein Kriterium, universelle Überlagerungen zu erkennen:
6.3.6. Korollar. Es sei \(p\colon E\to B\) eine Überlagerung und \(E\) einfach zusammenhängend. Für \(b\in B\) und jedes Element \(e\in E_b\) ist \((E,e)\) eine universelle Überlagerung von \((B,b)\).
Den folgenden technischen Satz werden wir bei verschiedenen Gelegenheiten anwenden.
6.3.7. Satz. Es sei \(f\colon Z\to X\times Y\) étale und separiert, \(y_0\in Y\). Es sei weiterhin \(s\colon X\times Y\to Z\) ein mengentheoretischer Schnitt von \(f\), so dass \(s|_{X\times \{y_0\}}\), wie auch \(s|_{\{x\}\times Y}\) für alle \(x\in X\), stetig ist. Ist \(Y\) zusammenhängend und lokal zusammenhängend, so ist \(s\) stetig.
Ein Argument wird im Beweis des Satzes wiederholt benutzt. Deshalb macht es Sinn, es separat als Lemma zu formulieren.
6.3.8. Lemma. Sei \(U\subset X\) offen, \(V\subset Y\) offen und zusammenhängend, und sei \((x_1,y_1)\in U\times V\). Es sei \(s|_{U\times\{y_1\}}\) stetig und \(\sigma\colon U\times V\to Z\) ein stetiger Schnitt von \(f\) über \(U\times V\) mit \(\sigma(x_1,y_1)=s(x_1,y_1)\). Dann existiert eine offene Umgebung \(U'\subset U\) von \(x_1\) mit \(s|_{U'\times V}=\sigma|_{U'\times V}\). Insbesondere ist \(s\) stetig in einer Umgebung von \((x_1,y_1)\).
Beweis von 6.3.8. Da \(f\) étale ist und \(s|_{U\times\{y_1\}}\) stetig, existiert eine offene Umgebung \(U'\) von \(x_1\) mit \( s|_{U'\times \{y_1\}}=\sigma|_{U'\times \{y_1\}}\). Hier benutzen wir die Offenheit der Diagonale im Faserprodukt bei étalen Abbildungen.
Nach Voraussetzung ist \(s|_{\{x\}\times V}\) für jedes \(x\in U'\) stetig. Da \(V\) zusammenhängend ist, sowie \(f\) étale und separiert, folgt aus der Eindeutigkeit von Hochhebungen die Identität \(s|_{\{x\}\times V}=\sigma|_{\{x\}\times V}\) für alle \(x\in U'\) und folglich \(s|_{U'\times V}=\sigma|_{U'\times V}\). Hier benutzen wir die Offenheit und Abgeschlossenheit der Diagonale im Faserprodukt bei étalen und separierten Abbildungen.
qed
Beweis von 6.3.7.
- Der Schnitt \(s\) ist in einer Umgebung von \(X\times\{y_0\}\) stetig. Ist nämlich \(x_0\in X\) gegeben, so liefert die Tatsache, dass \(f\) als étale Abbildung ein lokaler Homöomorphismus ist, offene Umgebungen \(U\) und \(V\) von \(x_0\) und \(y_0\), wobei \(V\) zusätzlich zusammenhängend ist, und einen stetigen Schnitt \(\sigma\colon U\times V\to Z\) von \(f\) mit \(\sigma(x_0,y_0)=s(x_0,y_0)\). Nach Lemma 6.3.8. ist \(s\) dann in einer Umgebung von \((x_0,y_0)\) stetig.
- Für jedes \(x\in X\) ist \(s\) in einer Umgebung von \(\{x\}\times Y\) stetig. Fixieren wir nämlich ein \(x_0\in X\), so betrachten wir die Menge \[C(x_0):=\left\{y\in Y \mid s\text{ ist in Umgebung von } (x_0,y) \text{ stetig}
\right\}\subset Y.\] Die Teilmenge \(C(x_0)\) von \(Y\) ist klar offen und wegen \(y_0\in C(x_0)\) nicht leer. Zu zeigen bleibt, dass sie auch abgeschlossen ist. Aus dem Zusammenhang von \(Y\) folgt dann nämlich die Behauptung.
Sei also \(y_1\in\overline{C(x_0)}\). Da \(f\) ein lokaler Homöomorphismus ist, finden wir offene Umgebungen \(U\subset X\) und \(V\subset Y\) von \(x_0\) und \(y_1\), sowie einen stetigen Schnitt \(\sigma\colon U\times V\to Z\) von \(f\) mit \( \sigma(x_0,y_1)=s(x_0,y_1)\). Nach Voraussetzung ist \(s|_{\{x_0\}\times V}\) stetig und \(f\) étale. Die Offenheit der Diagonale im Faserprodukt liefert eine offene Umgebung \(V'\subset V\) von \(y_1\) mit \(s|_{\{x_0\}\times V'}=\sigma|_{\{x_0\}\times V'}\). Der lokale Zusammenhang von \(Y\) erlaubt es, \(V'\) als zusammenhängend anzunehmen. Da \(y_1\) im Abschluss von \(C(x_0)\) liegt, gibt es ein \(y_2\in V'\cap C(x_0)\). Insbesondere gilt \(s(x_0,y_2)=\sigma(x_0,y_2)\). Anwendung von Lemma 6.3.8. liefert eine Umgebung \(U'\subset U\) von \(x_0\) mit \(s_{U'\times V'}=\sigma_{U'\times V'}\). Folglich ist \(y_1\in C(x_0)\).
qed
6.3.9. Korollar. Sind \(X,Y\) einfach zusammenhängend, \(Y\) lokal zusammenhängend, so ist \(X\times Y\) einfach zusammenhängend.
Beweis. Nach 3.1.7. ist \(X\times Y\) schon mal zusammenhängend. Ist \(f\colon Z\to X\times Y\) eine Überlagerung, so müssen wir zeigen, dass \(f\) trivialisierbar ist, d.h. zu jedem \(z_0\in Z\) mit \(f(z_0)=(x_0,y_0)\) muss ein stetiger Schnitt \(s\colon X\times Y\to Z\) von \(f\) mit \(s(x_0,y_0)=z_0\) existieren.
Da \(X\times\{y_0\}\) einfach zusammenhängend ist, existiert ein stetiger Schnitt \(\sigma\colon X\times\{y_0\}\to Z\) mit \( \sigma(x_0,y_0)=z_0\). Da \(\{x\}\times Y\) für jedes \(x\in X\) einfach zusammenhängend ist, existiert für jedes \(x\in X\) ein stetiger Schnitt \(\tau_x\colon \{x\}\times Y\to Z\) mit \(\tau_x(y_0)=\sigma(x,y_0)\). Insgesamt erhalten wir mit \(s(x,y):=\tau_x(y)\) einen zunächst nur mengentheoretisch definierten Schnitt \(s\colon X\times Y\to Z\), für den die Einschränkungen \(s|_{X\times \{y_0\}}\) und \( s|_{\{x\}\times Y}\) für alle \(x\in X\) jeweils stetig sind. Satz 6.3.7. liefert uns die Stetigkeit von \(s\).
qed
6.3.10. Proposition. Es sei \(B\) ein zusammenhängender und lokal zusammenhängender topologischer Raum. Für je zwei offene, zusammenhängende Teilmengen sei der Durchschnitt wieder zusammenhängend. Dann ist \(B\) einfach zusammenhängend.
Beweis. Sei \(p\colon E\to B\) eine Überlagerung, \(e\in E\) und \(b:=p(e)\). Zu zeigen ist, dass es einen stetigen Schnitt \(s\) von \(p\) gibt mit \(s(b)=e\). Dazu betrachten wir die Menge \(S:=\left\{
(U,s_U) \right\}\) von Paaren \(U,s_U)\), bestehend aus zusammenhängenden Umgebungen \(U\) von \(b\) und stetigen Schnitten \(s_U\colon U\to E\) von \(p|_{p^{-1}(U)}\) mit \(s_U(b)=e\). Die Menge \(S\) ist schon mal nicht leer, da \(p\) eine Überlagerung ist. Sind \((U,s_U)\) und \(V,s_V)\) in \(S\), so sind \(s_U|_{U\cap V}\) und \(s_V|_{U\cap V}\) stetige Schnitte von \(p\) über der zusammenhängenden Menge \(U\cap V\), welche denselben Wert \(e\) an der Stelle \(b\) annehmen. Wegen der Eindeutigkeit von Hochhebungen 5.4.8 gilt \(s_U|_{U\cap V}=s_V|_{U\cap V}\). Sie lassen sich also zu einem stetigen Schnitt \(s_{U\cup V}\colon U\cup V\to E\) zusammensetzen. Bezeichnet \(A\) die Vereinigung aller in \(S\) auftauchenden offenen Mengen, so ist \(A\) offen, zusammenhängend, und enthält \(b\). Außerdem wird durch \(s|_U:=s_U\) ein wohldefinierter, stetiger Schnitt \(s\colon A\to E\) beschrieben. Es bleibt zu zeigen, dass \(A\subset B\) eine abgeschlossene Teilmenge ist. Dazu betrachten wir ein Element \(a\in \overline{A}\) des Abschlusses. Ist \(V\) eine offene, zusammenhängende Umgebung von \(a\), so dass \(p|_{p^{-1}(V)}\) trivialisierbar ist, so existiert ein \(a'\in A\cap V\) und eine stetiger Schnitt \(s_v\) von \(p|_{p^{-1}(V)}\) mit \(s_V(a')=s(a')\). Da nach Voraussetzung \(A\cap V\) zusammenhängend ist, gilt \(s_V|_{A\cap V}=s|_{A\cap V}\). Folglich lässt sich \(s\) stetig zu einem Schnitt \(s'\) über \( A'=A\cup V\) fortsetzen. Aus \((A',s')\in S\) schließen wir auf die Abgeschlossenheit von \(A\).
qed
6.3.11. Korollar. Jedes reelle Intervall ist einfach zusammenhängend.
Beweis. Die zusammenhängenden Teilmengen von \(\mathbb R\) sind Intervalle und Durchschnitte von Intervallen sind Intervalle.
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6.3.12. Korollar. Für jedes \(n\in \mathbb N\) ist \(\mathbb R^n\) einfach zusammenhängend. Die offenen und abgeschlossenen Einheitsbälle \(D^n=\{\|x\|\le 1\}\subset \mathbb R^n\) und \(\mathring{D}^n\) sind einfach zusammenhängend.
Beweis. Die Einheitsbälle sind homöomorph zu Produkten von Einheitsintervallen.
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Da \(\mathbb R\) einfach zusammenhängend ist, ist die punktierte Abbildung \[\exp\colon \mathbb (R,0)\to (S^1,1);\quad t\mapsto \exp(2\pi it)\] eine universelle Überlagerung. Die Decktransformationsgruppe \(\mathrm{Aut}_{S^1}(\mathbb R)
\cong\mathbb Z\) wirkt durch \[\mathbb Z\times \mathbb R\to \mathbb R,\quad (n,r)\mapsto n+r.\]Ist \(f\colon S^1\to S^1\) eine stetige Abbildung, so existiert für jedes \(b\in \exp^{-1}\left(f(1)\right)\) nach 6.3.5. eindeutig eine Hochhebung \(F_b\colon \mathbb R\to \mathbb R\) der Abbildung \(f\circ \exp\colon \mathbb R\) mit \(F_b(0)=b\). Ist \(b'\in \exp^{-1}\left(f(1)\right)\), so gibt es ein Element \(n\in \mathrm{Aut}_{S^1}(\mathbb R)\) mit \(n(b)=b'\). Wegen der Eindeutigkeit von Hochhebungen zu gegebenem Basispunkt gilt \(F_{b'}=n\circ F_b\) und insbesondere \(F_{b'}(r)-F_b(r)=F_{b'}(0)-F_b(0)=b'-b=n\) für alle \(r\in\mathbb R\).
6.3.13. Definition. Der Grad einer stetigen Abbildung \(f\colon S^1\to S^1\) ist \[
\mathrm{deg}(f):=F_b(1)-F_b(0)\in \mathbb Z\] für eine und damit jede Hochhebung \(F_b\colon \mathbb R\to \mathbb R\) der Abbildung \(f\circ \exp\).