Pseudoeuklidische Vektorräume

In diesem Abschnitt befassen wir uns mit Bilinearformen auf reellen Vektorräumen. Wir benutzen, dass die reellen Zahlen linear geordnet sind. Die Resultate gelten also mutatis mutandis für linear geordnete Körper, wie zum Beispiel Unterkörper von $\mathbb R$.

Definition. Ein reeller Vektorraum endlicher Dimension, zusammen mit einer regulären symmetrischen Bilinearform $b$, heißt pseudo-euklidischer Raum. Er heißt euklidischer Raum, falls die zugehörige quadratische Form $q$ positiv definit ist, d.h. falls $q(v)=\frac12b(v,v)>0$ für alle
Vektoren $v$ gilt außer für den Nullvektor. Eine quadratische Form heißt negativ definit, falls $-q$ positiv definit ist.

Satz. Es sei $(V, b)$ ein pseudo-euklidischer Raum.

  • Ist $U^+ \subset V$ ein maximaler Unterraum, auf dem $b$ positiv definit ist, so ist $b$ auf $U^-:=(U^+)^\perp$ negativ definit und es gilt $U^+\perp U^-=V$.
  • Ist $V=W^+ \perp W^-$ eine weitere Zerlegung, so dass $b$ auf $W^+$ positiv und auf $W^-$ negativ definit ist, so gilt
    $$
    \dim W^+=\dim U^+ \text { und } \dim W^-=\dim U^-.
    $$

Beweis. Wir zeigen zuerst $V=U^+\perp U^-$. Zum einen ist der Durchschnitt gleich
$$
U^+\cap U^-=\{u\in U^+\;|\;q(u)=0\}=\{0\}.
$$ Zum anderen erzeugen die beiden Unterräume den Vektorraum $V$. Denn nach dem Dualitätssatz für reguläre geometrische Strukuren gilt
\[\dim(U^+)+\dim(U^-)=\dim(V).\] Es bleibt zu zeigen, dass $b$ auf $U^-$ negativ definit ist. Angenommen, es gibt ein $v\in U^-$ mit $q(v)>0$. Dann gilt für alle $\lambda\in\mathbb{R}, u\in U^+$
\[
q(u +\lambda v)=q(u)+ 2
\lambda b(u,v)+\lambda^2q(v)=q(u)+\lambda^2 q(v)>0.
\] Somit wäre $q$ auf $U^+\perp \langle v\rangle$ positiv definit im Widerspruch zur Maximalität von $U^+$.
Nach dem Satz aus dem vorherigen Abschnitt zerfällt $U^-$ in eine orthogonale Summe eindimensionaler Unterräume. Wäre $q$ auf einem dieser
eindimensionalen Unterräume gleich Null, so wäre die Bilinearform repräsentiert durch eine Diagonalmatrix mit einer Null in der Diagonale, sie wäre also nicht regulär. Folglich sind alle Diagonalelemente in so einer Darstellung der Bilinearform auf $U^-$ negativ und $q$ damit negativ definit auf $U^-$.
Ist nun $W^+$ ein weiterer maximaler Unterraum, auf dem $b$ positiv definit ist. Ohne Einschränkung gilt $\dim U^+ \le \dim W^+$. Aus dem Dimensionssatz folgt für Untervektorräume folgt
\begin{align*}
\dim V&=\dim U^+ +\dim U^-\\
&\le \dim W^+ + \dim U^-\\
&= \dim (W^+ + U^-)+ \dim(W^+ \cap U^-)\\
&\le \dim V.
\end{align*} Die letzte Ungleichung folgt wegen $\dim(W^+ \cap U^-)=0$, zumal dieser Durchschnitt gleichzeitig positiv und negativ definit ist. Somit sind alle angeführten Ungleichungen tatsächlich Gleichungen.
qed

Sylvesterscher Trägheitssatz. Jeder reelle Vektorraum mit orthogonaler Geometrie lässt sich derart orthogonal in Unterräume $V=U^+\perp U^-\perp \text {Rad } V$ zerlegen, dass $U^+$ positiv definit ist, $U^-$ negativ definit und die quadratische Form auf $\mathrm{Rad } V$ gleich Null ist. Die Dimensionen $r^+, r^-$ und $r_0$ dieser Unterräume hängen nicht ab von der gewählten Zerlegung.

Beweis. Sei $U\subset V$ ein komplementärer Unterraum zu $\mathrm{Rad }V=V^\perp$. Dann ist offensichtlich $V=U\perp \mathrm{Rad } V$. Ist $u\in \text{Rad }U$, so ist $u$ bereits in $\text{Rad }V$, also $u=0$. Somit ist $U$ regulär und der obige Satz lässt sich anwenden.
qed

Auf einem $n$-dimensionalen reellen Vektorraum gibt es also genau $n+1$ verschiedene reguläre orthogonale Geometrien. Ist $r^+=n$, so ist $(V, b)$ ein euklidischer Vektorraum. Im Fall $(r^+,r^-)=(3,1)$ ist $(V, b)$ der schon erwähnte Minkowski-Raum. In diesem Raum spielt sich die spezielle Relativitätstheorie ab.
Die Gruppe der Isometrien eines pseudoeuklidischen Raumes ist die orthogonale Gruppe. Im Falle eines regulären $\mathbb{R}$-Vektorraums mit Signatur $(r^+, r^-)$ kann diese Gruppe wie folgt beschrieben werden
\[
0(r^+, r^-)=
\left\{ A\in Gl_{\mathbb{R}}(n)\;|\;A^t\begin{pmatrix}
\mathbb I_{r^+}&0\\
0 & -\mathbb I_{r^-}\end{pmatrix}
A=\begin{pmatrix}
\mathbb I_{r^+} & 0\\
0 &- \mathbb I_{r^-}\end{pmatrix}\right\}.
\] Die Gruppe $0(3,1)$ heißt Lorentzgruppe und spielt in der Physik eine wichtige Rolle.

Korollar Eine reelle symmetrische $n\times n$-Matrix $B$ ist genau dann positiv definit, wenn die Determinanten der Untermatrizen $B_k=(b_{i j})_{i,j\le k}$ für alle $k\le n$ positiv sind.

Beweis. Wir nehmen zuerst an, es sei $\det(B_k)\gt 0$ für alle $k\le n$. Es bezeichne $q_k$ die durch $B_k$ auf $\mathbb{R}^k$ definierte quadratische Form. Sei $1\le k \le n$ der kleinste Index, für den $q_k$ nicht positiv definit ist. Dann beschreibt nach dem Sylvesterschen Trägheitssatz $B_k$ einen Vektorraum mit orthogonaler Geometrie mit Signatur $(r^+, r^-, r_0)\in \{(k-1,1,0) (k-1,0,1)\}$. Die Matrix $B_k$ ist somit kongruent zur Diagonalmatrix $D_\varepsilon=diag(1,\ldots,1,\varepsilon)$ mit $\varepsilon\in\{0,-1\}$, d.h. es gibt eine invertierbare $k\times k$-Matrix $T$ mit \[B_k=T^t D_\varepsilon T.\] Somit gilt
\[
\det B_k =
(\det T)^2\cdot\varepsilon \le 0.
\] Ist umgekehrt $B$ positiv definit, so ist $q_n$ positiv und die Einschränkung auf alle $\mathbb{R}^k\subset \mathbb{R}^n$ ist folglich auch positiv definit. Also ist $B_k$ kongruent zur Einheitsmatrix ${\mathbb I}_k$ für alle $k$ und für die Determinanten gilt
\[
\det B_k=\det T^t\cdot \det {\mathbb I}_k\cdot\det T
= (\det T)^2 > 0.
\]qed

Beispiele. Die Matrix
\[
\left(\begin{array}{rr}1&-2\\
-2&5\end{array}\right)
\] beschreibt eine positiv definite quadratische Form, die Matrix
\[ \begin{pmatrix}1&2\\
2&3\end{pmatrix}\] dagegen beschreibt eine nicht definite quadratische Form.

Die obigen Resultate sind so formuliert, dass sie auch für Vektorräume über Unterkörpern von $\mathbb R$ gelten. Die durch die Matrix $
\left(\begin{array}{rr}1&-2\\
-2&5\end{array}\right)
$ bezüglich der Standardbasis $e_1,e_2$ beschriebene Bilinearform auf $\mathbb Q^2$ ist bezüglich der Basis $e_1, 2e_1+e_2$ beschrieben durch die Matrix \[
\left(\begin{array}{rr}1&0\\
2&1\end{array}\right)
\cdot
\left(\begin{array}{rr}1&-2\\
-2&5\end{array}\right)
\cdot
\left(\begin{array}{rr}1&2\\
0&1\end{array}\right)
=
\left(\begin{array}{rr}1&0\\
0&1\end{array}\right)
.
\]
Im kommenden Semester werden Phänomene vorgestellt, welche nur in Vektorräumen über speziellen Körpern auftreten. Hier sind die Körper $\mathbb R$ und $\mathbb C$ der reellen und komplexen Zahlen von besonderem Interesse. Ein solcher Satz, der für reelle Matrizen gilt, nicht aber für Matrizen über Unterkörpern von $\mathbb R$, ist der folgende:

Satz. Eine reelle symmetrische $n\times n$-Matrix $B$ lässt sich immer durch eine orthogonale Matrix $T\in O(n)$ diagonalisieren.

Eine Matrix $T\in O(n)$ lässt das Standard-Skalarprodukt des $\mathbb R^n$ invariant, erfüllt also die Gleichung \[T^t\cdot \mathbb I_n\cdot T=\mathbb I_n.\] Insbesondere ist die Transponierte von $T$ gleich der Inversen $T^t=T^{-1}$. Aus dem vorherigen Kapitel wissen wir, dass die Einträge in der Diagonalmatrix Eigenwerte des von $B$ beschriebenen Endomorphismus von $\mathbb R^n$ sind und die Spalten von $T$ Eigenvektoren. Im Falle der obigen Matrix ist die Basiswechselmatrix $T$ explizit berechenbar \[T=\frac1{\sqrt{4-\sqrt8}}\left(\begin{array}{cc}1-\sqrt2&-1\\
1&1-\sqrt2\end{array}\right).\] Eine kleine Rechnung verifiziert die Gleichungen
\[T^t
\cdot
\left(\begin{array}{rr}1&-2\\
-2&5\end{array}\right)
\cdot
T
=
\left(\begin{array}{cc}3+\sqrt8&0\\
0&3-\sqrt8\end{array}\right), \text{ und } T^t\cdot T=\mathbb I_2.\] Diese Art der Diagonalisierung ist nicht möglich mit orthogonalen Matrizen mit rationalen Einträgen. Insbesondere ist der obige Diagonalisierungssatz ein Satz, in dessen Beweis notwendigerweise spezielle Eigenschaften der reellen Zahlen eingehen müssen.

Unterstützt von Drupal