Definition. Es sei $K$ ein Körper und $V_1,\ldots,V_n$ Vektorräume über $K$. Ein Tensorprodukt von $V_1,\ldots,V_n$ besteht aus einem $K$-Vektorraum $V_1\otimes\ldots \otimes V_n$, zusammen mit einer $n$-linearen Abbildung
$$
\Phi\colon V_1 \times\ldots \times V_n\to V_1
\otimes\ldots\otimes V_n,
$$ die folgende universelle Eigenschaft erfüllt: Ist $f\colon V_1\times\ldots\times V_n\to W$ eine $n$-lineare Abbildung, so existiert eine eindeutig bestimmte lineare Abbildung
$$
f_*\colon V_1 \otimes\ldots\otimes V_n\to W, \text { so dass } f=f_*\circ\Phi \text { gilt}.
$$
Proposition. Ein Tensorprodukt existiert und ist bis auf eindeutige Isomorphie eindeutig bestimmt.
Diese Sprechweise bis auf eindeutige Isomorphie eindeutig erscheint auf den ersten Blick etwas verwirrend. Hiermit ist Folgendes gemeint: Im Beweis wird eine Konstruktion angegeben, die die erforderlichen Eigenschaften besitzt. Allerdings sind auch völlig verschiedenartige Konstruktionen denkbar. Es mag sein, dass man diesen verschiedenen Konstruktionen nicht unmittelbar ansieht, wie man sie vergleichen kann. Die erfreuliche Nachricht ist: Es braucht uns nicht zu kümmern, auf welche Weise exakt diese verschiedenen Konstruktionen miteinander identifiziert werden können. Es geht immer und zwar auf genau eine Weise.
In der Analysis haben Sie bereits ein ähnliches Phänomen erlebt: Man kann die reellen Zahlen auf verschiedene Weisen konstruieren, zum Beispiel als Äquivalenzklassen von rationalen Cauchyfolgen modulo Nullfolgen, als unendliche Dezimalbruchentwicklung, vermittels Dedekindscher Schnitte oder Intervallschachtelungen. Diese Konstruktionen jeweils miteinander zu identifizieren ist möglich, erfordert aber immer etwas Aufwand. Diesen kann man sich ersparen, indem man die reellen Zahlen axiomatisch beschreibt, zum Beispiel "Die reellen Zahlen bilden einen total geordneten Körper, in dem jede nach unten beschränkte Menge ein Infimum besitzt." und zeigt, dass diese Beschreibung die reellen Zahlen eindeutig festlegt. Das heisst, eindeutig bis auf eindeutige Isomorphie. Die Konstruktion der komplexen Zahlen ist im Übrigen etwas kniffliger, da die Erweiterung der reellen Zahlen zwar eindeutig ist, aber nicht bis auf eindeutige Isomorphie; welche der beiden Wurzeln der $-1$ man mit $i$ bezeichnet, ist nämlich völlig willkürlich, die beiden lassen sich nicht unterscheiden.
Beweis. Zuerst betrachten wir die Eindeutigkeitsaussage: Es sei $(V_1\widetilde{\otimes}\ldots\widetilde{\otimes} V_n,\widetilde{\Phi})$ ein weiteres Tensorprodukt, das die universelle Eigenschaft erfüllt. Da $\widetilde{\Phi}$ multilinear ist, folgt aus der universellen Eigenschaft von $(V_1\otimes\ldots\otimes V_n,\Phi)$ die Existenz einer eindeutig bestimmten linearen Abbildung
\[\alpha: V_1\otimes\ldots\otimes V_n\to
V_1\widetilde{\otimes}\ldots\widetilde{\otimes} V_n\] mit $\widetilde{\Phi}=\alpha\circ\Phi$. Analog folgt aus der Multilinearität von $\Phi$ und der universellen Eigenschaft von $(V_1\widetilde{\otimes}\ldots\widetilde{\otimes}V_n,\widetilde{\Phi})$ die Existenz einer eindeutig bestimmten Abbildung
\[\beta:
V_1\widetilde{\otimes}\ldots\widetilde{\otimes} V_n\to
V_1\otimes\ldots\otimes V_n\] mit $\Phi=\beta\circ\widetilde{\Phi}$. Die $n$-lineare Abbildung $\Phi$ lässt sich auf zwei Weisen als Verkettung
\[\Phi=id_{V_1\otimes\ldots\otimes V_n}\circ\Phi= \beta\alpha\circ\Phi\] von $\Phi$ mit einer linearen Abbildung darstellen. Wegen der Eindeutigkeitsaussage der universellen Eigenschaft muß gelten \[ \beta \alpha = id_{V_1\otimes\ldots\otimes V_n}.\] Analog schließt man auch \[\alpha\beta=id_{V_1\widetilde{\otimes}\ldots\widetilde{\otimes} V_n}.\] Solcherart erkennt man $\alpha$ und $\beta$ als zueinander inverse Isomorphismen. (Diese Art der Argumentation wird von manchen Mathematikern gelegentlich als abstract nonsense tituliert.)
Nun zur Existenz des Tensorproduktes: Es sei $M$ der $K$-Vektorraum, der von allen Tupeln $(v_1,\ldots,v_n)\in V_1\times\ldots\times V_n$ erzeugt wird \[M=\bigoplus\limits_{V_1\times\ldots\times V_n}K\,(v_1,\ldots,v_n)\] und $N$ der Untervektorraum, der von allen Elementen der Form
\[
(v_1,\ldots, v_i+v'_i\ldots v_n) -(v_1,\ldots,v_i,\ldots,v_n) -(v_1,\ldots,v'_i,\ldots,v_n)\] und allen Elementen der Form
\[
(v_1,\ldots,\lambda v_i,\ldots,v_n)-\lambda(v_1,\ldots v_n)
\] mit $v_i, v_i'\in V_i$ und $\lambda\in K$ erzeugt wird. Die kanonische Abbildung von Mengen
$$
\Phi\colon V_1\times\ldots\times V_n\stackrel{\iota}\longrightarrow M\stackrel{p}\longrightarrow M/N,
$$ die jedes Tupel auf das dadurch bezeichnete Basiselement von $M$ abbildet, gefolgt von der Projektion auf den Restklassenvektorraum liefert die Abbildung $\Phi$. Diese Abbildung ist $n$-linear: Die Äquivalenzklassen sind genau so konstruiert, dass dies zutrifft.
Um die universelle Eigenschaft für das Paar $(M/N,\Phi)$ nachzuweisen, geben wir eine $n$-lineare Abbildung
\[f\colon V_1\times\ldots\times V_n\to W\] in einen $K$-Vektorraum $W$ vor. Die Abbildung $f$ beschreibt in tautologischer Weise eine Abbildung der vorgegebenen Basis von $M$ nach $W$ und damit eine lineare Abbildung $\widetilde{f}\colon M\rightarrow W$ und es gilt $f=\widetilde{f}\circ \iota$. Da $f$ multilinear ist, ist $\widetilde{f}(N)=0$. Also faktorisiert $\widetilde{f}$ über $M/N$, d.h. es gibt einen Homomorphismus $ f_*\colon M/N\to W $ mit $\widetilde{f}=f_\ast\circ p
$. Da das Bild von $\iota$ den Vektorraum $M$ erzeugt, ist $f_*$ eindeutig bestimmt.
qed
Das Bild $\Phi(v_1,\ldots,v_n)$ wird mit $v_1\otimes\ldots \otimes v_n$ bezeichnet. Diese Elemente erzeugen den Vektorraum $V_1\otimes\ldots\otimes V_n$.
Proposition. Seien $U,V,W$ jeweils $K$-Vektorräume. Dann existiert ein eindeutiger Isomorphismus
\begin{align*} (U\otimes V)\otimes W&
\longrightarrow U\otimes (V\otimes W)\\
(u\otimes v)\otimes w &\longmapsto u\otimes
(v\otimes w).
\end{align*}
Beweis. Die Eindeutigkeit ist klar, zumal die Elemente der Form $(u\otimes v)\otimes w$ den Vektorraum auf der linken Seite erzeugen. Es bleibt zu zeigen, dass eine derart beschriebene Abbildung wohldefiniert ist und damit auch existiert. Dazu betrachten wir die Abbildung
\begin{align*}
\Phi_{w}\colon U\times V&\longrightarrow
U\otimes (V\otimes W)\\
(u, v)& \longmapsto u\otimes (v\otimes w).
\end{align*} Diese Abbildung ist für jedes fixierte $w\in W$ bilinear, faktorisiert also jeweils über eine lineare Abbildung $\phi_w:U\otimes V\to U\otimes(V\otimes W)$. Nun betrachten wir die Zuordnung
\begin{align*}
(U\otimes V)\times W&\longrightarrow U\otimes (V\otimes W)\\
(u\otimes v, w)& \longmapsto \phi_w(u\otimes
v)=u\otimes(v\otimes w).
\end{align*} Diese ist linear im ersten Eintrag, aber auch im zweiten:
\begin{align*}
\phi_{ \lambda_1w_1+\lambda_2w_2 }(u\otimes v)&=
u\otimes(v\otimes (\lambda_1w_1+\lambda_2w_2))\\
&=u\otimes(\lambda_1 v\otimes w_1 +\lambda_2 v\otimes w_2)\\
&=\lambda_1(u\otimes(v\otimes w_1)) +\lambda_2
(u\otimes(v\otimes w_2))\\
&=(\lambda_1\phi_{w_1}+\lambda_2\phi_{w_2})(u\otimes
v).
\end{align*} Die universelle Eigenschaft des Tensorproduktes liefert nun die Existenz der Abbildung.
qed
Ähnlich beweist man auch mit Hilfe der universellen Eigenschaft:
Proposition. Für $K$-Vektorräume $V$ und $W$ gibt es einen Isomorphismus
\begin{align*}
V\otimes W&\longrightarrow W\otimes V\\
v\otimes w&\longmapsto w\otimes v
\end{align*}
Beweis. Die Abbildung \[V\times W\to W\otimes V,\] die gegeben ist durch $(v,w)\mapsto w\otimes v$, ist bilinear und induziert wegen der universellen Eigenschaft des Tensorprodukts die behauptete lineare Abbildung. Es gibt eine offensichtliche Umkehrabbildung. Folglich handelt es sich um einen Isomorphismus.
qed
Das Tensorprodukt ist im folgenden Sinne funktioriell: Sind $f_i:V_i\to W_i$ für $1\leq i\le n$ jeweils lineare Abbildungen, so induzieren dies eine lineare Abbildung
\[f_1\otimes\ldots\otimes f_n\colon V_1\otimes \ldots \otimes
V_n\longrightarrow W_1\otimes\ldots\otimes W_n\] vermittels folgender Überlegung: Die Komposition $\Psi\circ \prod f_i$ der das Tensorprodukt beschreibenden $n$-linearen Abbildung $\Psi$ mit dem Produkt der gegebenen linearen Abbildungen ist eine $n$-lineare Abbildung. Nach der universellen Eigenschaft des Tensorproduktes induziert sie eine eindeutig bestimmte lineare Abbildung
\[f_1\otimes\ldots\otimes f_n\colon v_1\otimes\ldots\otimes v_n\mapsto
f_1(v_1)\otimes\ldots\otimes f_n(v_n).\] Es gilt
\[id_{V_1}\otimes\ldots\otimes id_{V_n}=id_{V_1\otimes\ldots\otimes
V_n}\] und
\[\left(f_1\circ g_1\right)\otimes\ldots\otimes\left(f_n\circ g_n\right)=
\left(f_1\otimes\ldots\otimes f_n\right)\circ \left(g_1\otimes\ldots\otimes g_n\right).\]
Für $K$-Vektorräume $U$, $V$ und $W$ bezeichne
\[Bilin(U,V;W):= \{\phi:U\times V\to W\,| \,\phi \,\text
{ist bilinear}\}\] den $K$-Vektorraum von bilinearen Abbildungen.
Satz. Es gibt natürliche Isomorphismen von $K$-Vektorräumen
\[\hom(U,\hom(V,W))\cong Bilin(U,V;W)\cong \hom(U\otimes V,W).\]
Beweis. Einen Homomorphismus $$B:Bilin(U,V;W)\to \hom(U,\hom(V,W))$$ bekommen wir wie folgt: Ist $\alpha:U\times V\to W$ bilinear, so ist für jedes $u\in U$ ein Homomorphismus $\alpha_u:V\to W$ durch $\alpha_u(v)=\alpha(u,v)$ definiert. Die Abbildung $u\mapsto \alpha_u$ ist linear wegen der Linearität von $\alpha$ bezüglich des ersten Faktors. Insgesamt ist $B$ beschrieben durch die Zuordnung
\[\alpha\longmapsto\left(u\mapsto \alpha_u\right).\] Die Umkehrabbildung $B^{-1}:\hom(U,\hom(V,W))\to Bilin(U,V;W)$ bildet einen Homomorphismus $f:U\to \hom(V,W)$ ab auf die bilineare Abbildung $\alpha_f$, definiert durch
\[\alpha_f(u,v):= (f(u))(v).\] Die bilineare Abbildung $\Phi:U\times V\to U\otimes V$ charakterisiere das Tensorprodukt. Die universelle Eigenschaft besagt nun nichts Anderes als dass die lineare Abbildung
\[\Phi^*\colon \hom(U\otimes V,W)\longrightarrow Bilin(U,V;W),\,\,
f\longmapsto f\circ \Phi\] bijektiv ist; jede bilineare Abbildung ist eindeutig als $f\circ \Phi $ beschreibbar.
qed
Definition.Die Komposition der Isomorphismen
\[
A=(B\Phi^*)^{-1}:\hom(U,\hom(V,W)) \longrightarrow \hom(U\otimes V,W)
\] heißt Adjunktion und wird beschrieben durch
\[A(f)(u\otimes v)=\left(f(u)\right)(v).\]
Proposition. Sind $U$ und $V$ Vektorräume mit Basen $u_i$, $i\in I$ und $v_j$, $j\in J$, so besitzt $U\otimes V$ die Basis $u_i\otimes v_j$ mit $(i,j)\in I\times J$. Insbesondere gilt \[\dim(U\otimes V)=\dim(U)\cdot\dim(V).\]
Beweis. Wir betrachten den von der Menge $u_i\otimes v_j$ als Basis erzeugten Vektorraum $U\overline\otimes V$ über $K$ und konstruieren eine bilineare Abbildung \begin{align*}\Psi:U\times V&\to U\overline\otimes V\\\left(\sum_i\lambda_iu_i,\sum_j\kappa_jv_j\right)&\mapsto \sum_{i,j}\lambda_i\kappa_i u_i\otimes v_j.\end{align*} Wir zeigen nun, dass diese Konstruktion die universelle Eigenschaft erfüllt. Sei also $f:U\times V\to W$ eine bilineare Abbildung. Diese ist eindeutig und vollständig bestimmt durch die Werte $$w_{ij}:=f(u_i,v_j).$$ Definieren wir nun $$f_*:U\overline\otimes V\to W$$ durch $f_*(u_i,v_j)=w_{ij}$, so gilt $$f=f_*\circ \Psi.$$ qed
Sie werden sich jetzt fragen: Das ist doch sehr viel einfacher, als diese abstrakte Konstruktion zu Anfang. Das stimmt wohl. Allerdings müssten wir uns dann überlegen, dass die Konstruktion unabhängig ist von den gewählten Basen... .
Zuletzt noch ein kleiner Satz:
Proposition. Sind $U$ und $V$ Vektorräume über $K$, so existiert ein kanonischer Homomorphismus \begin{align*}\Psi:U^*\otimes V&\to \hom(U,V)\\\phi\otimes v&\mapsto \left(u\mapsto \phi(u)v\right).\end{align*} Ist $U$ oder $V$ endlich dimensional, so ist $\Psi$ ein Isomorphismus.
Beweis. Die Abbildung $U^*\times V\to \hom(U,V)$, beschrieben durch $(\phi,v)\mapsto \left(u\mapsto \phi(u)v\right)$ ist bilinear, induziert also die obige lineare Abbildung $\Psi$. Ist $V$ endlich dimensional mit Basis $v_1,\ldots,v_n$ und dualer Basis $v_i^*\in V^*$, so ist die Umkehrabbildung zu $\Psi$ beschrieben durch $$\phi\mapsto \sum_{i=1}^n\left(v_i^*\circ\phi\right)\otimes v_i.$$ Ist $U$ endlich dimensional mit Basis $u_1,\ldots,u_n$ und dualer Basis $u_i^*\in U^*$, so ist die Umkehrabbildung zu $\Psi$ beschrieben durch $$\phi\mapsto \sum_{i=1}^n u_i^*\otimes \phi(u_i).$$qed