7.2 Universelle Überlagerung

Überlagerungen lassen sich unter geeigneten Zusammenhangsbedingungen an den Basisraum klassifizieren. Wir beginnen mit den wesentlichen Begriffen.

7.2.1 Definition. Ein topologischer Raum $X$ heißt

  1. lokal wegweise zusammenhängend, wenn in jeder Umgebung jedes seiner Punkte eine wegzusammenhängende Umgebung liegt.
  2. semilokal einfach zusammenhängend, wenn er von offenen Mengen $U$ überdeckt wird, so dass der von der Inklusion induzierte Homomorphismus $$\pi_1(U,u)\to \pi_1(X,u)$$ für alle $u$ aus $U$ konstant ist. Äquivalent definieren je zwei Wege in $U$ zwischen gegebenen Punkten in $U$ denselben Morphismus in $\Pi(X)$.
  3. hinreichend zusammenhängend, wenn er zusammenhängend, lokal wegweise zusammenhängend und semilokal einfach zusammenhängend ist.

Mannigfaltigkeiten sind lokal homöomorph zu Bällen und damit lokal wegweise zusammenhängend und semilokal einfach zusammenhängend.

Im Folgenden betrachten wir die Auswertungsabbildung $$\mathrm{ev_{01}}\colon Mor_{\Pi(X)}\to X\times X$$ des Morphismenraums des Fundamentalgruppoiden auf Anfangs- und Endpunkte. Für hinreichend zusammenhängende Räume $X$ lässt sich der Morphismenraum als Étalraum einer lokal trivialen Garbe topologisieren.

7.2.2. Lemma. Es sei $X$ ein zusammenhängender, lokal wegweise zusammenhängender, semilokal einfach zusammenhängender topologischer Raum. Sind $U$ und $U'$ wegzusammenhängende Umgebungen der Punkte $x$ und $x'$ in $X$, so dass die Homomorphismen $\pi_1(U,x)\to \pi_1(X,x')$ und $\pi_1(U',x')\to \pi_1(X,x')$ konstant sind, so gibt es ein wohldefiniertes Linksinverses $$h\colon V:=\mathrm{ev_{01}}^{-1}(U\times U')\to \Pi(X)(x,x'),$$ zur Inklusionsabbildung $\Pi(X)(x,x')\to V$. Die Abbildung $h$ ist stetig, wenn man $Mor_{\Pi(X)}$ mit der Quotiententopologie der KO-Topologie auf $\mathcal C(I,X)$ versieht und $\Pi(X)(x,x')$ mit der diskreten Topologie.

Beweis. Wir wählen für $(u,u')\in U\times U'$ jeweils Elemente $\left[w_u\right]\in \Pi(U)(x,u)$ und $\left[w'_{u'}\right]\in \Pi(U)(x',u')$ und definieren für $[v]\in \Pi(X)(u,u')\subset V$ die Abbildung $h$ vermittels der Zuordnung $$ [v]\mapsto \left[w'_{u'}\right]^{-1}\circ [v]\circ\left[w_u\right]\in \Pi(X)(x,x').$$ Der Wegzusammenhang von $U$ und $U'$ liefert die Existenz der Wege $w_u$ und $w'_{u'}$. Der semilokal einfache Zusammenhang von $X$ liefert die Wohldefiniertheit der Abbildung $h$: Eine andere Wahl $\left[\overline{w_u}\right]\in \Pi(U)(x,u)$ resultiert in der Gleichheit $\left[\overline{w_u}\right]=\left[{w_u}\right]\in \Pi(X)(x,u)$ und folglich $$ \left[w'_{u'}\right]^{-1}\circ [v]\circ\left[\overline{w_u}\right]= \left[w'_{u'}\right]^{-1}\circ [v]\circ\left[w_u\right]\in \Pi(X)(x,x').$$ Analoges gilt für das Element $\left[w'_{u'}\right]$.

Zur Stetigkeit der Abbildung $h$ genügt es zu zeigen: Ist $v\colon I\to X$ ein Repräsentant von $[v]\in V$ mit $h([v])\in U\times U'\times \{[w]\}$ so existiert eine offene Umgebung $W$ von $v$ in $\mathcal C(I,X)$, so dass jedes Element $\overline{v}\in W$ gilt $h([\overline{v}])= [w]$. Dazu wählen wir eine Zerlegung $$0=t_0\lt t_1\lt \ldots\lt t_n=1$$ des Intervalls $I$ derart, dass $v|_{[t_{i-1},t_i]}$ das Teilintervall $[t_{i-1},t_i]$ in eine wegzusammenhängende offene Menge $U_i$ abgebildet wird, so dass die Inklusion den Homomorphismus $\pi_1(U_i,u)\to \pi_1(X,u)$ für alle $u$ aus $U_i$ induziert. Für jedes $i$ wählen wir weiterhin eine wegzusammenhängende Umgebung $V_i\subset U_i\cap U_{\min(n,i+1)}$ von $v(t_i)$. Die Behauptung ist, dass für jedes $$\overline{v}\in \left(\bigcap_{i\le n}W([t_{i-1},t_i],U_i)\right)\cap \left(\bigcap_{i\le n}W(\{t_i\},V_i)\right)$$ gilt $h\left([\overline{v}]\right)=[w]$. Dazu konstruieren wir eine Homotopie zwischen $v$ und $\overline{v}$ auf folgende Weise: Wir wählen zuerst Wege $w_i$ in $V_i$ von $v(t_i)$ nach $\overline{v}(t_i)$. Dies definiert eine Abbildung auf den Kanten eines Gitters im Einheitsquadrat $$\left(\{t_0,\ldots,t_n\}\times I\right)\cup\left(I\times \{0,1\}\right)\subset I\times I.$$ Die Kantenwege $w_i\ast v|_{[t_{i-1},t_i]}$ und $ \overline{v}|_{[t_{i-1},t_i]}\ast w_{i-1}$ sind zwei, in $U_i$ verlaufende Wege mit gleichen Anfangs- und Endpunkten. Wegen des semilokal einfachen Zusammenhangs gibt es eine in $X$ verlaufende Homotopie relativ Endpunkte zwischen diesen Wegen. Diese Homotopie erweitert die auf den Rändern des Rechtecks $I\times [t_{i-1},t_i]$ definierte Abbildung auf das Innere des Rechtecks. Kombiniert, ergeben diese auf den einzelnen Rechtecken definierten Abbildungen eine Homotopie zwischen den beiden Wegen $v$ und $\overline{v}$, bei der die Endpunkte nur innerhalb der offenen Mengen $U$ und $U'$ bewegt werden. Insbesondere folgt daraus $h\left([v]\right)=h\left(\left[\overline{v}\right]\right)$.
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Sind $U$ und $U'$ offene Teilmengen von $X$ wie in 7.2.2. vorausgesetzt, so erhalten wir vermittels der Abbildung $h$ eine Abbildung $$\mathrm{ev}_{01}\times h\colon V:=\mathrm{ev_{01}}^{-1}(U\times U')\to U\times U'\times \Pi(X)(x,x').$$

7.2.3. Lemma. Die Abbildung $\mathrm{ev}_{01}\times h$ ist bijektiv und stetig, wenn man $ Mor_{\Pi(X)}$ mit der Quotientententopologie der KO-Topologie auf $\mathcal C(I,X)$ versieht.

Beweis. Die beiden Auswertungsabbildungen nach $U$ und $U'$ sind nach 4.6.2 und 2.4.3 stetig, die Abbildung $h$ nach 7.2.2.
Beim Nachweis der Bijektivität benutzen wir die Notation des Beweises von 7.2.2. Das Element $(u,u',[w])\in U\times U'\times \Pi(X)(x,x')$ ist das Bild $$(u,u',[w])=\mathrm{ev}_{01}\times h\left(\left[w'_{u'}\right]\circ [w]\circ\left[w_u\right]^{-1}\right).$$ Gilt $\mathrm{ev}_{01}\times h([v])=\mathrm{ev}_{01}\times h\left(\left[\overline{v}\right]\right)=(u,u',[w])$, so ist das Element $$[v]^{-1}\circ \left[\overline{v}\right]= \left(\left[w_{u}\right]\circ [w]^{-1}\circ\left[w'_{u'}\right]^{-1}\right)\circ \left(\left[w'_{u'}\right]\circ [w]\circ\left[w_u\right]^{-1}\right)=1\in \Pi(X)(u,u),$$ und folglich $[v]=\left[\overline{v}\right]\in \Pi(X)(u,u')$.
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7.2.4. Definition. Es sei $X$ ein zusammenhängender, lokal wegweise zusammenhängender, semilokal einfach zusammenhängender topologischer Raum. Die Überlagerungstopologie auf $ Mor_{\Pi(X)}$ ist die Topologie, für die die in 7.2.3 konstuierten bijektiven Abbildungen $$\mathrm{ev}_{01}\times h\colon V:=\mathrm{ev_{01}}^{-1}(U\times U')\to U\times U'\times \Pi(X)(x,x')$$ Homöomorphismen sind.

7.2.5 Satz. Es sei $X$ ein zusammenhängender, lokal wegweise zusammenhängender, semilokal einfach zusammenhängender topologischer Raum. Dann ist die Abbildung $$\mathrm{ev_{01}}\colon Mor_{\Pi(X)}\to X\times X$$ des Morphismenraums des Fundamentalgruppoiden, versehen mit der Überlagerungstopologie, auf Anfangs- und Endpunkte eine wegzusammenhängende Überlagerung.

Die Faser dieser Überlagerung über dem Punkt $(x,x')\in X\times X$ ist die Morphismenmenge ${\Pi(X)}(x,x')$, also die Menge der Homotopieklassen relativ Endpunkte von Wegen von $x$ nach $x'$.

Beweis. Es bleibt zu zeigen, dass der Morphismenraum wegzusammenhängend ist. Die Wegzusammenhangskomponenten eines lokal wegweise zusammenhängenden Raumes sind offen. Ist der Raum zusammenhängend, so ist er folglich wegweise zusammenhängend. Insbesondere ist $X$ wegzusammenhängend. Die konstanten Wege liefern eine stetige Abbildung $k\colon X\to Mor_{\Pi(X)}$ mit $\mathrm{ev}_{01}\circ k=\Delta$ die diagonale Abbildung $X\to X\times X$. Da das Bild $k(X)$ wegzusammenhängend ist, reicht es zu zeigen, dass für jedes $x\in X$ der Raum $\mathrm{ev}_{01}^{-1}(\{x\}\times X)$ wegzusammenhängend ist. Ein Element $[w]$ in diesem Raum ist die Äquivalenzklasse eines in $x$ startenden Weges $w\colon I\to X, t\mapsto w(t)$ mit $w(0)=x$. Die Homotopie $$W\colon I\times I,\quad (s,t)\mapsto w_s(t):=w(s\cdot t)$$ definiert einen Weg $$ I\to \mathrm{ev}_{01}^{-1}(\{x\}\times X),\quad s\mapsto [w_s]$$ von $[w_0]=k(x)$ nach $[w_1]=[w]$.
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7.2.6. Definition. Eine wegzusammenhängende Überlagerung $p\colon X\to B$, die einfach zusammenhängend ist, d.h. es gilt $\pi_1(X,x)=0$ für einen und damit jeden Punkt $x\in X$, wird universelle Überlagerung genannt.

7.2.7 Satz. Es sei $B$ ein zusammenhängender, lokal wegweise zusammenhängender, semilokal einfach zusammenhängender topologischer Raum und $b\in B$. Es bezeichne $q\colon \widetilde{B}\to B$ die durch Basiswechsel der Überlagerung $\mathrm{ev_{01}}\colon Mor_{\Pi(B)}\to B\times B$ entlang der Inklusion $\{b\}\times B\to B\times B$ erhaltene Überlagerung. Dann ist $q\colon \widetilde{B}\to B$ eine universelle Überlagerung.

Beweis. Es sei $\widetilde{b}$ der von der Homotopieklasse des konstanten Wegs nach $b$ repräsentierte Punkt in $\widetilde{B}$. Ein Element in $\pi_1(\widetilde{B},\widetilde{b})$ sei repräsentiert durch einen geschlossenen Weg $w\colon I\to \widetilde{B}$. Dieser Weg ist die eindeutige Hochhebung des geschlossenen Weges $qw$ in $B$. Die Homotopieklasse $$[qw]\in \pi_1(B,b)=\Pi(B)(b,b)$$ wird beschrieben durch den Endpunkt $h([qw])=\widetilde{b}$. Folglich ist $qw$, wegen 7.1.7 auch $w$, nullhomotop.
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7.2.8. Definition. Eine (linke) Gruppenwirkung einer topologischen Gruppe $G$ auf einem topologischen Raum $X$ ist eine stetige Abbildung $$G\times X\to X, \quad (g,x)\mapsto gx,$$ so dass für alle $x\in X$ und $g,g'\in G$ gilt $ex=x$ und $g(g'x)=(gg')x$.

  • Die Gruppenwirkung heißt frei, wenn für alle $x\in X$ und $g\in G$ gilt: Ist $gx=x$, so ist $g=e$.
  • Eine freie Gruppenwirkung einer diskreten Gruppe heißt diskontinuierlich, wenn jedes Element $x\in X$ eine Umgebung $U$ besitzt, so dass gilt $U\cap gU=\emptyset $ für alle $g\not= e$.

Eine rechte Gruppenwirkung ist eine stetige Abbildung $$X\times G\to X, \quad (x,g)\mapsto xg,$$ so dass alle $x\in X$ und $g,g'\in G$ gilt $xe=x$ und $(xg)g'=x(gg')$.

7.2.9 Bemerkung. Eine Gruppenwirkung induziert eine Äquivalenzrelation $x\sim gx$. Der Raum der Äquivalenzklassen heißt Bahnenraum $X/G$. Ist die Gruppenwirkung frei und diskontinuierlich, so ist die Quotientenabbildung $X\to X/G$ eine Überlagerung mit Faser $G$.

7.2.10 Satz. Die Decktransformationsgruppe der universellen Überlagerung $q\colon \widetilde{B}\to B$ ist isomorph zu $\pi_1(B,b)$. Die Wirkung der Decktransformationsgruppe ist frei und diskontinuierlich.

Beweis. Wir definieren eine rechte Gruppenwirkung von $\pi_1(B,b)$ auf dem Raum $\widetilde{B}\subset Mor_{\Pi(B)}$ der Äquivalenzklassen von Wegen in $B$, welche in $b$ starten. Ist $w$ ein in $b$ startender Weg und $g$ ein geschlossener, in $b$ startender und endender Weg, so durchlaufen wir zuerst den Weg $g$ und dann den Weg $w$. Als Hintereinanderschaltung von Morphismen geschrieben, lautet die Zuordnung somit $([w],[g])\mapsto [w]\circ [g]$. Für jedes $[g]\in \pi_1(B,b)$ erhalten wir auf diese Weise eine mengentheoretische Abbildung $\rho_g\colon \widetilde{B}\to\widetilde{B}$, für die gilt $q\circ \rho_g=q$. Schränkt man die Abbildung $\rho_g$ auf eine trivialisierende offene Menge $U'\subset B$ ein, so werden die Blätter der Überlagerung $$U'\times \mathrm{ev}_{01}^{-1}(\{b'\})\cong U'\times \Pi(B)(b,b')$$ permutiert. Die Abbildung beschreibt also einen Homöomorphismus.
Ist umgekehrt $\phi\colon \widetilde{B}\to\widetilde{B}$ eine Decktransformation, so werden alle in $\widetilde{b}$ startenden Wege in $\widetilde{B}$ in solche Wege abgebildet, welche in $[g]:=\phi(\widetilde{b})\in p^{-1}(b)=\pi_1(B,b)$ starten. Die Abbildung $\rho_g^{-1}\circ \phi$ bildet also die Menge der in $\widetilde{b}$ startenden Wege in $\widetilde{B}$ in sich ab. Es sei $w$ ein solcher Weg. Wegen der Eindeutigkeit von Hochhebungen stimmen die beiden Wege $w$ und $\rho_g^{-1}\circ \phi\circ w$ überein, die Endpunkte sind also dieselben. Folglich gilt $\phi=\rho_g$.
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7.2.11 Bemerkung. Hätten wir für den Basiswechsel statt der Inklusion von $\{b\}\times B$ die Inklusion von $B\times \{b\}$ in $B\times B$ benutzt, also Wege, welche in $b$ enden, so erhielten wir genauso eine universelle Überlagerung $\widetilde{\widetilde{B}}\to B$. Die Wirkung der Fundamentalgruppe wäre dann eine linke.

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