Den topologischen Raum \(\left(X,\mathcal T\right)\) können wir als eine kleine Kategorie \(\mathcal T_X\) betrachten, in der die offenen Mengen von \(X\) die Objekte der Kategorie bilden. Die Inklusionsabbildungen \(V\hookrightarrow U\) für offene Mengen \(V\subset U\subset X\) bilden die Morphismen dieser Kategorie. Eine Basis \(\mathcal B\subset \mathcal T_X\) der Topologie kann man als volle Unterkategorie betrachten. Zur Klärung der Sprechweise ein kleiner kategorientheoretischer Einschub:
5.1.1. Definition.
Nun zu den interessanten Begriffen:
5.1.2. Definition. Eine mengenwertige Prägarbe auf \(X\) ist ein kontravarianter Funktor \[\mathcal P\colon \mathcal T_X\to \mathcal{Sets} .\] Eine mengenwertige Prägarbe bezüglich der Basis \(\mathcal B\subset\mathcal T_X\) ist ein kontravarianter Funktor \[\mathcal P\colon \mathcal B\to \mathcal{Sets} .\]
Eine Prägarbe ordnet also einer offenen Teilmenge \(U\subset X\) eine Menge \(\mathcal P(U)\) zu, und für eine Inklusion \(V\subset U\) offener Mengen beschreibt die Prägarbe eine Restriktionsabbildung \[\rho_{U,V}\colon\mathcal P(U)\to \mathcal P(V)\] mit \(\rho_{V,W}\circ \rho_{U,V}=\rho_{U,W}\) für Tripel \(W\subset V\subset U\) offener Mengen und \(\rho_{U,U}=\mathrm{id}_{\mathcal P(U)}\). Ein Element \(s\in \mathcal P(U)\) wird meist Schnitt von \(\mathcal P\) über \(U\) genannt. Das Bild \(\rho_{U,V}(s)\in \mathcal P(V)\) heißt dann Einschränkung des Schnittes und wird schlicht mit \(s|_V\) bezeichnet.
Analog zu mengenwertigen Prägarben definiert man Prägarben mit Werten in \(\mathcal{Groups}\), \(\mathcal{Abel}\), \(\mathcal{Rings}\), \(\ldots\), also Kategorien, in denen die Objekte Mengen mit Zusatzstruktur sind und die Morphismen die Zusatzstruktur respektieren.
Funktoren zwischen Kategorien \(\mathcal C,\mathcal D\) bilden selbst wiederum die Objekte einer Kategorie \(\mathcal{Fun}(\mathcal C,\mathcal D)\). Die Morphismen in dieser Kategorie heißen natürliche Transformationen.
5.1.2. Definition. Ein Morphismus \(\phi\colon \mathcal F\to \mathcal G\) von Prägarben auf \(X\) ist eine natürliche Transformation von kontravarianten Funktoren. Das heißt, für jede offene Menge \(U\subset X\) ist eine Abbildung \(\phi(U)\colon \mathcal F(U)\to \mathcal G(U)\) gegeben, so dass für \(V\subset U\) das folgende Diagramm kommutiert: \[\begin{matrix}
\mathcal F(U)&\xrightarrow{\phi(U)}&\mathcal G(U)\\
\scriptstyle{\rho^{\mathcal F}_{U,V}}\downarrow\phantom{\scriptstyle{\rho^{\mathcal F}_{U,V}}}&&
\phantom{\scriptstyle{\rho^{\mathcal F}_{U,V}}}\downarrow\scriptstyle{\rho^{\mathcal G}_{U,V}}\\
\mathcal F(V)&\xrightarrow{\phi(V)}&\mathcal G(V)
\end{matrix}\]
5.1.3. Beispiele.
- Es sei \(M\) eine Menge. Die konstante Prägarbe \[\mathcal M\colon \mathcal T_X\to \mathcal{Sets}\] ordnet jeder offenen Menge \(U\subset X\) die Menge \(\mathcal M(U):=M\) zu und jeder Inklusion \(V\subset U\) die identische Abbildung \(\rho_{U,V}=\mathrm{id}_M\). Ist \(f\colon M\to M'\) eine Abbildung von Mengen, so induziert diese einen Morphismus \(f_*\colon \mathcal M\to \mathcal M'\) von Prägarben, der jeder offenen Menge \(U\) in \(X\) die Abbildung \[f_*(U)\colon \mathcal M(U)=M\xrightarrow{f} M'=\mathcal M'(U)\] zuordnet. Die Kommutativität des obigen Diagrams ist nichts anderes als die bekannte Identität \(f\circ\mathrm{id}_M=\mathrm{id}_{M'}\circ f\).
- Es sei \(M\) wieder eine Menge. Die Prägarbe \[\mathcal F(\,\_\,,M)\colon \mathcal T_X\to \mathcal{Sets}\] ordnet jeder offenen Menge \(U\subset X\) die Menge \(\mathcal F(U,M)\) aller mengentheoretischen Abbildungen von \(U\) nach \(M\) zu. Die Restriktionsabbildungen \(\rho_{U,V}\colon \mathcal F(U,M)\to \mathcal F(V,M)\) schränken den Definitionsbereich einer auf \(U\) definierten Abbildung ein auf den Unterraum \(V\), d.h. \(\rho_{U,V}(f\colon U\to M)=f|_V\). Indem wir jedem Element \(m\in M\) und jeder offenen Menge \(U\subset X\) die konstante Abbildung \(c_m\colon U\to M\) mit Wert \(m\) zuordnen, erhalten einen Morphismus von Prägarben \(c\colon \mathcal M\to \mathcal F(\,\_\,,M)\). Die Abbildung \(c(U)\colon \mathcal M(U)\to \mathcal F(U,M)\) ist im Falle \(U\not=\emptyset\) injektiv. Die Abbildung \(c(\emptyset)\) ist die eindeutig bestimmte Abbildung der Menge \(\mathcal M(\emptyset)=M\) in die ein-elementige Menge \(\mathcal F(\emptyset,M)\).
- Ist \(Y\) ein topologischer Raum, so ordnet die Prägarbe \[\mathcal C\left(\,\_\, ,Y\right)\colon \mathcal T_X\to \mathcal{Sets}\] jeder offenen Menge \(U\subset X\) die Menge \(\mathcal C(U,Y)\) der stetigen Abbildungen von \(U\) nach \(Y\) zu. Die Restriktionsabbildungen \(\rho_{U,V}\colon \mathcal C(U,Y)\to \mathcal C(V,Y)\) schränken den Definitionsbereich einer auf \(U\) definierten stetigen Abbildung ein auf den Unterraum \(V\), d.h. \(\rho_{U,V}(f\colon U\to Y)=f|_V\). Die Inklusion \(\mathcal C(U,Y)\subset \mathcal F(U,Y)\) der stetigen in die mengentheoretischen Abbildungen beschreibt einen Morphismus \(\mathcal C(\,\_\,,Y)\to \mathcal F(\,\_\,,Y)\) von Prägarben.
Die Prägarben \(\mathcal F(\,\_\,,M)\) und \(\mathcal C(\,\_\, ,Y)\) haben beide eine schöne Eigenschaft: Auf offenen Teilmengen definierte Abbildungen, welche auf den Durchschnitten der offenen Teilmengen übereinstimmen, lassen sich eindeutig zu einer Abbildung auf der Vereinigungsmenge verkleben. Sind die Abbildungen auf den offenen Teilmengen stetig, so ist es auch die verklebte Abbildung. Prägarben mit dieser wünschenswerten Eigenschaft werden Garben genannt.
5.1.4. Definition. Eine Prägarbe \(\mathcal G\) auf dem topologischen Raum \(X\) heißt Garbe, falls sie für jede Familie \(\left(U_i\right)_{i\in I}\) offener Teilmengen \(U_i\subset X\) mit Vereinigung \(U:=\cup_{i\in I}U_i\) die folgenden beiden Eigenschaften erfüllt:
s_i|_{U_i\cap U_j}=s_j|_{U_i\cap U_j}\] für jedes \((i,j)\in I\times I\), so existiert ein Element \(s\in \mathcal G(U)\) mit \(s|_{U_i}=s_i\).
5.1.5. Bemerkungen.
- Ist \(\mathcal P\) eine Prägarbe auf \(X\) und ist \(\mathcal P(U)\not=\emptyset\) für eine offene Menge \(U\subset X\), so impliziert die Existenz der Abbildung \(\rho_{U,\emptyset}\), dass \(\mathcal P(\emptyset)\) nicht die leere Menge sein kann. Ist \(\mathcal G\) eine Garbe auf \(X\), so können wir den Fall einer leeren Indexmenge \(I=\emptyset\) betrachten. Die universelle Eigenschaft des Produktes impliziert, dass ein Produkt über die leere Indexmenge ein-elementig ist. Aus den beiden Garbenbedingungen folgern wir, dass auch \(\mathcal G(\emptyset)\) ein-elementig ist.
- Für die Geometrie interessant sind hauptsächlich die Garben. Prägarben dienen im Allgemeinen lediglich als Hilfsobjekte zur Konstruktion von Garben. Diese Garbifizierung von Prägarben werden wir im Folgenden kennenlernen. Sie benötigt die Werte der Prägarbe nur auf einer Basis der Topologie. Deshalb macht es Sinn, Prägarben nur auf einer solchen Basis zu definieren. Für eine Garbe \(\mathcal G\) auf \(X\) sind die Mengen \(\mathcal G(U)\) immer für alle offenen Teilmengen \(U\subset X\) definiert.