Vektorbündel und ihre Schnitte

Dies ist die geeignete Stelle für einen kleinen Exkurs über Vektorbündel.

3.3.7. Definition. Ein reelles, glattes Vektorbündel vom Rang $r$ über einer glatten Mannigfaltigkeit $M$ ist eine glatte Mannigfaltigkeit $E$, zusammen mit einer glatten Abbildung $\pi:E\to M$ mit folgenden Eigenschaften:

  1. Es gibt eine offene Überdeckung $\mathfrak{U}$ von $M$, sowie für jede offene Menge $U\in\mathfrak{U}$ Diffeomorphismen $\Phi_{U}:\pi^{-1}\left(U\right)\to U\times\mathbb{R}^{r}$ dergestalt, dass für $e\in\pi^{-1}\left(U\right)$ gilt $\pi\left(e\right)=pr_{1}\left(\Phi_{U}\left(e\right)\right)$, wenn $pr_{1}:U\times\mathbb{R}^{r}\to U$ die Projektion auf den ersten Faktor bezeichnet.
  2. Sind $U,U'\in\mathfrak{U}$, so ist der Kartenwechsel \[
    \Phi_{U'}\circ\Phi_{U}^{-1}:\left(U\cap U'\right)\times\mathbb{R}^{r}\to\left(U\cap U'\right)\times\mathbb{R}^{r}
    \] fasernweise eine lineare Abbildung, d.h. von der Form \[
    \left(m,v\right)\mapsto\left(m,\phi_{U'U}\left(m\right)\cdot v\right),
    \] wo $\phi_{U'U}:\left(U\cap U'\right)\to Gl\left(r,\mathbb{R}\right)$ eine glatte Abbildung ist.

Man nennt $\left(\mathfrak{U},\left(\Phi_{U}\right)_{U\in\mathfrak{U}}\right)$ einen Bündelatlas.

3.3.8. Beispiele.

  • Das oben konstruierte Tangentialbündel $TM$ einer Mannigfaltigkeit $M$ ist ein Vektorbündel.
  • Das Produkt $M\times\mathbb{R}^{r}=:\underline{\mathbb{R}}^{r}$, zusammen mit der Projektion auf den ersten Faktor, ist ein Vektorbündel. Wir können als Bündelatlas die einelementige Überdeckung $\mathfrak{U}=\left\{ M\right\} $, zusammen mit der identischen Abbildung als Karte wählen. Das Bündel $\underline{\mathbb{R}}^{r}$ wird triviales Bündel genannt.

Im Allgemeinen sind Bündel nicht trivial. Die Nichttrivialität eines Bündels über einer Mannigfaltigkeit ist immer verbunden mit geometrisch signifikanten Eigenschaften der Mannigfaltigkeit. Die Methoden, eine solche Nichttrivialität zu erkennen oder zu messen, bilden ein wesentliches Instrumentarium der Differentialgeometrie.

Aus der Definition eines Bündels folgen unmittelbar Eigenschaften der Kartenwechselfunktionen $\phi_{U'U}$.

3.3.9. Lemma. Die Kartenwechselfunktionen $\phi_{U'U}$ erfüllen folgende drei Bedingungen:

  1. $\phi_{UU} = id$
  2. $\phi_{U'U} = \phi_{UU'}^{-1}$
  3. $\phi_{U''U} = \phi_{U''U'}\circ\phi_{U'U}.$

Umgekehrt definiert ein System $\phi_{U'U}:\left(U\cap U'\right)\to Gl\left(r,\mathbb{R}\right)$ von Funktionen für $\left(U',U\right)\in\mathfrak{U}\times\mathfrak{U}$ zu einer offenen Überdeckung $\mathfrak{U}$ von $M$ ein Vektorbündel vom Rang $r$, sofern diese drei Bedingungen erfüllt sind.

Beweis. Dass diese drei Bedingungen erfüllt sind, ist offensichtlich. Ist umgekehrt ein solches System von Funktionen gegeben, so definieren diese wie in der Konstruktion des Tangentialbündels eine Äquivalenzrelation auf dem Raum \[
\coprod_{U\in\mathcal{\mathfrak{U}}}\left(U\times\mathbb{R}^{r}\right).
\] Die gleiche Argumentation wie im Beweis von 3.3.5. zeigt, dass der Quotientenraum eine Mannigfaltigkeit ist.
qed

3.3.10. Definition. Ein Schnitt eines Vektorbündels $\pi:E\to M$ ist ein Rechtsinverses zu $\pi,$ also eine glatte Abbildung $\sigma:M\to E$ mit \[
\pi\circ\sigma=id_{M}.
\] Die Menge von Schnitten wird üblicherweise mit $\Gamma\left(M;E\right)$ oder kurz mit $\Gamma\left(E\right)$ bezeichnet.

3.3.11. Beispiele.

  • Die Schnitte $\Gamma\left(M,\underline{\mathbb{R}}\right)$ des trivialen Bündels können identifiziert werden mit dem Raum $\mathcal{C}^{\infty}\left(M\right)$ von glatten Funktionen auf $M$. Ist nämlich $f:M\to\mathbb{R}$ eine glatte Funktion, so ist die Abbildung \[
    m\mapsto\left(m,f\left(m\right)\right)
    \] ein Schnitt des trivialen Bündels. Ist umgekehrt $\sigma:M\to M\times\mathbb{R}$ ein Schnitt von $\underline{\mathbb{R}}$, so liefert die Projektion $p:M\times\mathbb{R}\to\mathbb{R}$ auf den zweiten Faktor eine glatte Funktion $p\circ\sigma\in\mathcal{C}^{\infty}\left(M\right)$.
  • In analoger Weise kann $\Gamma\left(M,\underline{\mathbb{R}}^{r}\right)$ identifiziert werden mit dem Raum $ $$\mathcal{C}^{\infty}\left(M\right)^{r}$ der $r$-Tupel von glatten Funktionen.
  • Der Satz vom Igel besagt: Einen Igel kann man nicht kämmen. Diese Aussage umschreibt die Tatsache, dass jeder Schnitt des Tangentialbündels $TS^2$ der $2$-dimensionalen Sphäre Nullstellen besitzt. Der Beweis dieses Satzes erfordert mehr Mittel, als uns derzeit zur Verfügung stehen. Aus diesem Satz folgt jedenfalls, dass das Tangentialbündel der Sphäre $S^2$ nicht trivial sein kann.

Schnitte lassen sich als verallgemeinert Funktionen auf einer Mannigfaltigkeit betrachten. Das soll im Folgenden näher erläutert werden.

Ist $U\subset M$ eine Bündelkartenumgebung für das Vektorbündel $E$ und ist $\sigma$ ein Schnitt von $E$, so ist $\Phi_{U}\circ\left(\sigma|_{U}\right):U\to U\times\mathbb{R}^{r}$ von der Form \[
m\mapsto\left(m,v\left(m\right)\right),
\] wobei $v:U\to\mathbb{R}^{r}$ eine glatten Abbildung bezeichnet. Wird der Schnitt $\sigma$ bezüglich einer weiteren Bündelkarte über einer offenen Menge $U'\subset M$ beschrieben durch die Zuordnung \[
m\mapsto\left(m,v'\left(m\right)\right)
\] mit einer glatten Abbildung $v':U'\to\mathbb{R}^{r}$, so sind auf dem Durchschnitt der Definitionsbereiche die beiden Abbildungen mittels der Kartenwechselfunktionen korreliert: \[
v'\left(m\right)=\phi_{U'U}\left(m\right)\cdot v\left(m\right)
\] für $m\in U'\cap U$.

Ist umgekehrt für jede offene Menge $U\subset M$ in einem Bündelatlas $\mathfrak{U}$ eine glatte Abbildung $v_{U}:U\to\mathbb{R}^{r}$ gegeben und sind diese Abbildungen korreliert über die Kartenwechselabbildungen \[
v_{U'}=\phi_{U'U}\cdot v_{U},
\] so definieren diese Abbildungen einen Schnitt des Vektorbündels. Denn diese Korrelationen bewirken, dass sich das Diagramm \[
\begin{matrix} \coprod U & \xrightarrow{\coprod v_U}& \coprod U\times\mathbb R^r\\
\downarrow&&\downarrow\\
M && E \end{matrix}\] mit den kanonischen, vertikal dargestellten Quotientenabbildungen eindeutig mit einer Abbildung $\sigma:M\to E$ kommutativ ergänzen lässt.

Interessant werden Schnitte durch ihre algebraische Struktur: Man kann Schnitte addieren und mit Funktionen multiplizieren. Sind nämlich zwei Schnitte $\sigma$ und $\tau$ durch Abbildungen $v_{U}:U\to\mathbb{R}^{r}$ und $w_{U}:U\to\mathbb{R}^{r}$ bezüglich Bündelkarten beschrieben, so haben die Summen \begin{eqnarray*}
v_{U}+w_{U}:U & \to & \mathbb{R}^{r}\\
m & \mapsto & v_{U}\left(m\right)+w_{U}\left(m\right)
\end{eqnarray*} wegen der fasernweisen Linearität der Kartenwechselfunktionen das richtige Transformationsverhalten \begin{eqnarray*}
v_{U'}+w_{U'} & = & \left(\phi_{U'U}\cdot v_{U}\right)+\left(\phi_{U'U}\cdot w_{U}\right)\\
& = & \phi_{U'U}\cdot\left(v_{U}+w_{U}\right)
\end{eqnarray*} und definieren folglich einen Schnitt $\sigma+\tau$. Ebenso hat im Falle einer glatten Funktion $f\in\mathcal{C}^{\infty}\left(M\right)$ das Produkt \begin{eqnarray*}
fv_{U}:U & \to & \mathbb{R}^{r}\\
m & \mapsto & f\left(m\right)\cdot v_{U}\left(m\right)
\end{eqnarray*} das richtige Transformationsverhalten \begin{eqnarray*}
fv_{U'} & = & f\left(\phi_{U'U}\cdot v_{U}\right)\\
& = & \phi_{U'U}\cdot\left(fv_{U}\right),
\end{eqnarray*} um einen Schnitt $f\sigma$ zu definieren.

3.3.12. Bemerkung. Der Raum der Schnitte $\Gamma(M;E)$ eines Vektorbündels besitzt die algebraische Struktur eines Moduls über der Algebra $\mathcal C^\infty(M)$ der glatten Funktionen auf $M$.

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