Proposition 2.18. Die Gerade $g$ sei Achse einer echten Gleitspiegelung $\tau=T\circ s_g$.
Die Argumente im Beweis der ersten beiden Aussagen sind nicht anschaulich. Das liegt in der Natur der Sache. Was nicht existiert, lässt sich schlecht visualisieren.
Beweis.
- Sei $P$ ein Fixpunkt der Gleitspiegelung $\tau$, also $s_{g}\circ T(P)=P$. Wir wenden die Spiegelung $s_g$ auf diese Gleichung an und erhalten wegen $s_g\circ s_g=\mathrm{id}$ die Gleichung $$ T (P)= s_g(P).$$ Ist $P$ in der Halbebene $H^{+}$ zur Geraden $g$, so ist der parallel zu $g$ verschobene Punkt $T(P)$ ebenfalls in $H^{+}$, der an $g$ gespiegelte Punkt $s_{g}(P)$ allerdings in der anderen Halbebene $ H^{-}$, $$T(P)=s_g(P)\in H^{+}\cap H^{-}=g.$$ Folglich ist $P=s_g(P)$ und wegen der Gleichung $s_g(P)=T(P)$ folgt damit auch $P=T(P)$, das heisst $T=0$. Im Widerspruch dazu, dass es sich bei $\tau$ um eine echte Gleitspiegelung handelt.
- Wir nehmen an, es gäbe eine invariante Gerade $h\not= g$. Schneidet $h$ die Achse $g$, so ist auch der Schnittpunkt invariant und damit ein Fixpunkt. Nach dem ersten Teil des Beweises kann dies nicht sein. Also muss $h$ parallel zu $g$ sein und damit vollständig enthalten in einer Halbebene $H^+$ zu $g$. Die Translation $T$ ist parallel zu $g$ also auch parallel zu $h$ und bildet damit $h$ in sich ab. Da $h$ sowohl invariant ist unter $\tau=s_g\circ T$, als auch unter $T$, muss $h$ auch invariant sein unter der Spiegelung $s_g$. Die einzigen unter $s_g$ invarianten Geraden sind aber solche, die wir ausgeschlossen hatten: Die Achse $g$ selbst und alle dazu senkrechten Geraden. Damit ist die Aussage bewiesen.
- Liegt der Punkt $P$ auf der Geraden $g$, so auch das Bild $\tau(P)$ unter der Gleitspiegelung. Die Aussage ist dann trivialerweise richtig.
Wir nehmen also an, $P$ liege nicht auf der Geraden $g$. Sei $h$ die Gerade $Ps_g(P)$ und $F$ der Punkt, in dem sich $h$ und $g$ senkrecht schneiden. Es sei $M$ der Mittelpunkt der Strecke $\overline{F\tau(F)}$ und $D_M$ die Punktspiegelung mit Zentrum $M$.
Behauptung: Es gilt die Gleichung von Isometrien $$\tau=D_M\circ s_h.$$ Sobald wir diese Behauptung bewiesen haben, sind wir fertig. Denn wegen $P=s_h(P)$ gilt $$\tau(P)=D_M\circ s_h(P)=D_M(P).$$ Damit erhält man $\tau(P)$ aus $P$ durch Punktspiegelung an $M$ und folglich ist der auf $g$ liegende Punkt $M$ der Mittelpunkt der Strecke $\overline{P\tau(P)}$.
Um die behauptete Gleichheit von Isometrien zu beweisen, betrachten wir die Gleichungskette $$D_M\circ\tau\circ s_h=D_M\circ T\circ s_g\circ s_h=D_M\circ T \circ D_F=\mathrm{id}.$$ In dieser Kette benutzt die erste Gleichung die Definition $\tau=T\circ s_g$ der Gleitspiegelung. Die nächste benutzt, dass die Komposition zweier Spiegelungen an sich schneidenden Geraden eine Drehung um den Schnittpunkt ist. Der Drehwinkel ist das Doppelte des Winkels zwischen den Geraden. Da sich die Geraden $g$ und $h$ senkrecht schneiden, ist die Komposition also eine Punktspiegelung mit Zentrum $F$. Um die letzte Gleichung einzusehen, betrachten wir zuerst einmal den Drehwinkel $$\vartheta\left(D_M\circ T \circ D_F\right)=
\vartheta\left(D_M\right)+\vartheta\left( T \right)+\vartheta\left( D_F\right)=180°+0°+180°=0°.$$ Es handelt sich also um eine Translation. Den Translationsvektor erhalten wir, indem wir das Bild eines Punktes der Ebene unter der Translation berechnen. Wir wählen uns dazu den Punkt $F$. Es ist $D_F(F)=F$. Die Translation $T$ verschiebt $F$ zum Punkt $\tau(F)$. Die Punktspiegelung $D_M$ schließlich bildet $\tau(F)$ wieder auf den Ausgangspunkt $F$ ab. Der Translationsvektor ist also der Nullvektor.
Die obige Gleichungskette lieferte insgesamt $D_M\circ\tau\circ s_h=\mathrm{id}.$ Multiplizieren wir in dieser Gleichung von links mit $D_M$ und von rechts mit $s_h$, so erhalten wir die behauptete Gleichung von Isometrien: $$\tau =D_M\circ D_M\circ\tau\circ s_h\circ s_h=D_M\circ\mathrm{id}\circ s_h=D_M \circ s_h.$$qed.Bemerkung. Mit den im weiteren Verlauf der Vorlesung zu besprechenden Strahlensätzen lässt sich die dritte Aussage kürzer und eleganter beweisen. Der obige Beweis hat allerdings auch seine Meriten. So exemplifiziert er, wie man mit den bisherigen Begriffen arbeiten und argumentieren kann. Und er beschreibt die der Aussage zugrunde liegende Symmetrie.