Konvergenzkriterien

Aus unseren Konvergenzaussagen für Folgen erhalten wir unmittelbar auch Aussagen über Reihen:

Satz 2.2.2.

  1. Cauchy'sches Konvergenzkriterium. Eine Reihe $\sum^\infty_{n=1}a_n$ konvergiert genau dann, wenn für jedes $\varepsilon\gt 0$ ein $n_0\in\mathbb N$ existiert mit $\left\vert\sum^n_{\nu=m}a_\nu \right\vert\lt \varepsilon$ für alle $n \ge m \ge n_0$.
  2. Monotoniekriterium. Eine Reihe $\sum^\infty_{n=1}r_n$ mit reellen, nichtnegativen Summanden konvergiert genau dann, wenn die Folge der Teilsummen beschränkt ist.
  3. Konvergieren die Reihen $\sum a_n$ und $\sum b_n$ gegen $a$ und $b$, und sind $\lambda,\mu \in\mathbb C$, so konvergiert auch die Reihe $\sum(\lambda a_n+\mu b_n)$ gegen den Grenzwert $\lambda a+\mu b$.

Beweis.

  1. Es bezeichne $s_n=\sum_{\nu=1}^na_n$ die $n$-te Partialsummen. Nach dem Cauchy'sche Konvergenzkriterium (2.1.4.) konvergiert die Folge $(s_n)$ genau dann, wenn für jedes $\varepsilon\gt 0$ ein $n_0\in\mathbb N$ existiert mit $\left\vert\sum^n_{\nu=m}a_\nu \right\vert=\left\vert s_n-s_{m-1}\right\vert\lt \varepsilon$ für alle $n \ge m \ge n_0$.
  2. Ist eine Konsequenz des Konvergenzkritiums für beschränkte monotone Folgen (2.1.7).
  3. Dies folgt aus den analogen Aussagen für Folgen (2.1.3.), mit den konstanten Folgen $(\lambda)_{n\in\mathbb N}$ und $(\mu)_{n\in \mathbb N}$.

qed

Beispiel. Die harmonische Reihe $\sum_{n=1}^\infty \frac1n$ divergiert.

Beweis. Für jedes $k$ und $n$ mit $2^{k-1}\lt n\le 2^k$ können wir den Bruch $\frac1n\ge \frac1{2^k}$ abschätzen. Damit erhalten wir für die $2^k$-te Partialsumme
\begin{align*}
s_{2^k}=\sum^{2^k}_{n=1}\frac{1}{n}&
=1+\frac{1}{2}+\underbrace{\frac{1}{3}+\frac{1}{4}}+
\underbrace{\frac{1}{5}+\frac{1}{6}+\frac{1}{7}+\frac{1}{8}}+\ldots+\frac{1}{2^k}\\
&\ge
1+\frac{1}{2}+\frac{1}{4}+\frac{1}{4}+\frac{1}{8}+\frac{1}{8}+\frac{1}{8}+\frac{1}{8}+
\ldots +2^{k-1}\cdot\frac{1}{2^k}\\
&=1+\frac{k}{2}.
\end{align*}qed

Versehen wir die Glieder der harmonischen Reihe mit Vorzeichen, so erhalten wir nach dem folgenden Kriterium eine konvergente Reihe $\sum^\infty_{n=1}\frac{{(-1)}^{n+1}}{n}$.

Leibnizkriterium 2.2.3. Ist $(a_n)$ eine monoton fallende Nullfolge reeller Zahlen, so konvergiert die Reihe $$
\sum^\infty_{n=1}(-1)^{n-1} a_n.
$$ Der Grenzwert liegt zwischen den Werten je zweier aufeinander folgender Teilsummen.

Beweis. Wir setzen $s_n=\sum^n_{\nu=1}(-1)^{\nu-1} a_\nu$ und betrachten die Teilfolgen $(s_{2n})$ und $(s_{2n+1})$. Dann wächst die Folge $(s_{2n})$ monoton, denn $$
s_{2n+2}- s_{2n}=a_{2n+1}-a_{2n+2}\ge 0.
$$ Ähnlich sieht man, dass die Folge $(s_{2n+1})$ monoton fällt. Da andererseits aber auch die Differenz der beiden Teilfolgen $0\le s_{2n+1}-s_{2n}=a_{2n+1}$ gegen $0$ strebt für $n\to\infty$, müssen die Folgen $(s_{2n})$ und $(s_{2n+1})$ konvergieren, und zwar gegen denselben Grenzwert.
qed

Satz 2.2.4. Die Reihe $\sum_{n=1}^\infty a_n$ komplexer Zahlen konvergiert, falls eines der folgenden drei Kriterien erfüllt ist.

  1. Majorantenkriterium. Es gilt $|a_n|\le b_n$ für fast alle $n$ für eine konvergente reelle Reihe $\sum^\infty_{n=1} b_n$. Diese heißt Majorante zu $\sum^\infty_{n=1} a_n.$
  2. Quotientenkriterium. Fast alle Glieder $a_n$ der Reihe sind ungleich Null, und gibt es eine reelle Zahl $q\lt 1$ mit $\left|\frac{a_{n+1}}{a_n}\right| \le q$ für fast alle $n$.
  3. Wurzelkriterium. Es gibt eine reelle Zahl $q\lt 1$ mit $\sqrt[n]{|a_n|} \le q$ für fast alle $n$.

Beweis.

  1. Majorantenkriterium: Es sei eine Toleranzgrenze $\varepsilon \gt 0$ gegeben. Dann gibt es nach Voraussetzung einen Schwellenwert $N$ mit $\sum^n_{k=m} b_k \lt \varepsilon$ für $n\ge m\ge N$. Man kann $N$ außerdem so groß wählen, dass $|a_k|\le b_k$ für alle $k\ge N$ gilt. Dann folgt $$
    \left\vert\sum^n_{k=m} a_k\right\vert \le \sum^n_{k=m}|a_k| \le
    \sum^n_{k=m} b_k \lt \varepsilon.
    $$ Die behauptete Konvergenz folgt nun aus dem Cauchyschen Konvergenzkriterium.
  2. Quotientenkriterium: Wir vergleichen die Reihe mit der geometrischen Reihe. Es sei $N$ so groß gewählt, dass $a_n\not= 0$ und $\left|\frac{a_{n+1}}{a_n}\right| \le q$ für alle $n\ge N$ gilt . Aus der Abschätzung $$
    |a_n|\le |a_N| \cdot
    \frac{|a_{N+1}|}{|a_N|}\cdot\frac{|a_{N+2}|}{|a_{N+1}|}\ldots
    \left|\frac{a_n}{a_{n-1}}\right| \le \frac{|a_N|}{q^ N}\cdot q^n.
    $$ erkennen wir die konvergente Reihe $\frac{|a_N|}{q^N}\cdot
    \sum^\infty_{k=0}q^k$ als Majorante zur gegebenen Reihe.
  3. Wurzelkriterium: Nach Voraussetzung ist $|a_n|\le q^n$ für fast alle $n$, also ist die geometrische Reihe $\sum^\infty_{n=0}q^n$ eine Majorante zur Reihe $\sum^\infty_{n=1}a_n$.

qed

Beispiele.

  1. Die Exponentialreihe $$\exp(z):=\sum_{n=0}^\infty \frac{z^n}{n!}$$ konvergiert für alle $z\in \mathbb C$. Dies ist sicherlich richtig für $z=0$. Ansonsten ist $a_n=\frac{z^n}{n!}\not=0$ und es gilt \[
    \left\vert\frac{a_{n+1}}{a_n}\right\vert=\frac{\vert z\vert}{n+1}\lt\frac12,
    \] sobald $n\gt 2\vert z\vert$. Nach dem Quotientenkriterium konvergiert die Exponentialreihe.
  2. Binomialreihe. Es seien $\alpha, z\in \mathbb C$. Die Reihe \[ B_\alpha(z):=\sum_{n=0}^\infty{\alpha \choose n}z^n\] heißt Binomialreihe. Zur Erinnerung: Es ist ${\alpha \choose 0}=1$ und \[{\alpha \choose n}=\frac{\alpha\cdot(\alpha-1)\cdot\ldots\cdot(\alpha +1-n)}{n!}.\] Ist $z=0$, so konvergiert die Reihe offensichtlich. Ist $\alpha\in \mathbb N$, so sind nur endlich viele der Binomialkoeefizienten verschieden von Null. In diesem Falle ist die Summe endlich und es gilt \[B_\alpha(z)=(1+z)^\alpha.\] Ist $z\not= 0$ und $\alpha\notin \mathbb N$ so ist $a_n={\alpha\choose n}z^n\not=0$ für alle $n\in\mathbb N_0$, und es gilt \[\left\vert\frac{a_{n+1}}{a_n}\right\vert =\frac{\vert\alpha-n\vert}{n+1}\cdot\vert z\vert.\] Für $n\to\infty$ geht dieser Ausdruck gegen $|z|$. Ist $|z|\lt 1$, so ist das Quotientenkriterium anwendbar, und es folgt, dass die Binomialreihe $B_\alpha(z)$ für beliebiges $\alpha\in \mathbb C$ konvergiert, solange nur $|z|\lt 1$.

Definition. Eine Reihe \(\sum a_n\) heißt absolut konvergent, falls die Reihe $\sum |a_n|$ konvergiert.

Satz 2.2.5. Jede absolut konvergente Reihe konvergiert.

Beweis. Die Reihe $\sum |a_n|$ ist Majorante von $\sum a_n$.
qed

Definition. Es sei $(a_n)$ eine Folge komplexer Zahlen. Eine Reihe der Form \[\sum_{n=0}^\infty a_nz^n\] mit $z\in \mathbb C$ heißt Potenzreihe.

Die Konvergenz einer solchen Potenzreihe ist nicht allein durch die Koeffizienten $a_n$ bestimmt, sondern hängt auch von $z$ ab.

Satz 2.2.6. Konvergiert die Reihe $\sum a_nz^n$ für ein $z\in\mathbb C$, so konvergiert die Reihe $\sum a_nw^n$ absolut für alle $w\in \mathbb C$ mit $|w|\lt |z|$.

Beweis. Konvergiert die Reihe $\sum a_nz^n$, so ist die Folge $(a_nz_n)$ eine Nullfolge, insbesondere ist sie beschränkt. Sei $M:=\sup\{|a_nz^n|\mid n\in\mathbb N_0\}$. Für jede komplexe Zahl $w$ mit $|w|\lt|z|$ und jedes $n\in \mathbb N_0$ folgt dann \[
|a_nw^n|=|a_nz^n|\cdot\left\vert\frac{w}z\right\vert^n \le M\cdot \left\vert\frac{w}z\right\vert^n.\] Aus dem Majorantenkriterium folgt die Behauptung.
qed

Definition. Die Zahl \[\sup\left\{|z|\mid \sum a_nz^n \text{ konvergiert } \right\}\in\overline{\mathbb R}\] heißt Konvergenzradius der Potenzreihe \(\sum a_nz^n\).

Beispiele.

  1. Der Konvergenzradius der Exponentialreihe ist $\infty$.
  2. Die geometrische Reihe $\sum_{n=0}^\infty z^n$ hat Konvergenzradius $1$. Denn einerseits ist die Reihe für alle $z\in \mathbb C$ mit $|z|\lt 1$ konvergent. Andererseits ist sie für $|z|\ge 1$ sicher divergent, da die Glieder keine Nullfolge bilden.

Satz 2.2.7. (Konvergenzradius nach Cauchy-Hadamard) Es sei $(a_n)$ eine Folge komplexer Zahlen und $L:=\limsup\sqrt[n]{\left\vert a_n\right\vert}$. Dann ist der Konvergenzradius der Potenzreihe $\sum a_nz^n$ gegeben durch $R:=L^{-1}$, falls $L\not=0$, und ist $R:=\infty$, falls $L=0$. Die Potenzreihe konvergiert für $z\in \mathbb C$ mit $|z|\lt R$, und divergiert im Falle $|z|\gt R$.

Beweis. Es sei $R:= L^{-1}$, falls $L\not=0$ und $R:=\infty$, falls $L=0$. Gilt $|z|\lt R$ für eine komplexe Zahl $z$, so ist $\limsup\sqrt[n]{\left\vert a_nz^n\right\vert}\lt 1.$ Ist $q$ eine Zahl mit $\limsup\sqrt[n]{\left\vert a_nz^n\right\vert}\lt q \lt 1$, so gilt für fast alle Glieder der Reihe die Abschätzung $\sqrt[n]{\left\vert a_nz^n\right\vert}\lt q \lt 1$ und nach dem Wurzelkriterium konvergiert die Reihe.
Ist dagegen $|z|\gt R$, und ist $a_{n_k}$ eine Teilfolge mit $\lim \sqrt[n_k]{\vert a_{n_k}\vert}=L$, so ist die Folge $a_{n_k}z^{n_k}$ keine Nullfolge, die Reihe $\sum a_nz^n$ muss also divergieren.
qed

Lemma 2.2.8. Es sei $\sum a_nz^n$ eine Potenzreihe mit Konvergenzradius $R\gt 0$. Dann existiert zu jedem $N\in \mathbb N_0$ und jedem $r\lt R$ eine Konstante $C$ derart, dass für alle $z\in \mathbb C$ mit $|z|\lt r$ gilt: \[
\left\vert \sum_{n=N+1}^\infty a_nz^n\right\vert \le C\cdot |z|^{N+1}.
\]

Beweis. Da $r\lt R$, konvergiert die Reihe $\sum a_nr^n$ absolut. Es sei \[C:=\sum_{n=N+1}^\infty |a_n|r^{n-N-1}.\] Dann gilt für alle $z, |z|\lt r$:
\begin{aligned}
\left\vert \sum_{n=N+1}^\infty a_nz^n\right\vert &=|z|^{N+1}\cdot \left\vert \sum_{n=N+1}^\infty a_nr^{n-N-1}\left(\frac{z}r\right)^{n-N-1}\right\vert \\
&\le |z|^{N+1}\cdot \sum_{n=N+1}^\infty |a_n|r^{n-N-1} \\
&=C|z|^{N+1}.\end{aligned}
qed

Satz 2.2.9. Es sei $A(z)=\sum a_nz^n$ eine Potenzreihe mit Konvergenzradius $R\gt 0$. Ferner seien nicht alle $a_n=0$. Dann existiert ein $\varepsilon \gt 0$ mit $\varepsilon \lt R$ derart, dass $A(z)$ in der offenen Kreisscheibe $U_\varepsilon(0)$ höchstens eine Nullstelle im Ursprung hat.

Beweis. Wir zeigen, dass in einer hinreichend kleinen Umgebung der $0$ die einzige mögliche Nullstelle $z=0$ ist. Wir nehmen das Gegenteil an. Dann gibt es zu jedem $k\in \mathbb N$ ein $z_k$ mit $0\lt |z_k|\lt \frac{R}{2k}$ und $A(z_k)=0$. Es sei $N$ minimal mit $a_N\not=0$. Da $z_k$ eine Nullstelle ist, gilt: \[
a_Nz_k^N=-\sum_{n=N+1}^\infty a_nz_k^n.
\]Nach Lemma 2.2.8 existiert eine Konstante $C$ so, dass für alle $z$ mit $|z|\lt R/2$ gilt \[
\left\vert \sum_{n=N+1}^\infty a_nz^n\right\vert \le C\cdot |z|^{N+1}.
\] Angewandt auf $z_k$ erhält man \[
0\lt |a_N| \lt C|z_k|
\] für alle $k$, im Widerspruch dazu, dass $(z_k)$ eine Nullfolge ist.
qed

Korollar 2.2.10. Es seien $A(z)=\sum a_nz^n$ und $B(z)=\sum b_nz^n$ Potenzreihe mit positiven Konvergenzradien. Ist $(z_k)$ eine Nullfolge in $\mathbb C\setminus \{0\}$ mit $A(z_k)=B(z_k)$ für alle $k$, so folgt $a_n=b_n$ für alle $n\in \mathbb N_0$.

Beweis. Man wende den Satz auf die Potenzreihe $\sum(a_n-b_n)z^n$ an.
qed

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