2.3 Stetigkeit

Definition. Es sei $D\subset \mathbb C$. Eine Funktion $f:D\to\mathbb C$ heißt stetig im Punkt $a\in D$, wenn es zu jedem $\varepsilon\gt 0$ ein $\delta\gt 0$ gibt derart, dass für alle $z\in D$ mit $|z-a|\lt\delta$ gilt $|f(z)-f(a)|\lt \varepsilon$. Ist $f$ in allen Punkten $a\in D$ stetig, so nennt man $f$ kurz eine auf $D$ stetige Funktion.

Hier ist die Reihenfolge, in der $\varepsilon$ und $\delta$ erscheinen, von entscheidender Wichtigkeit: Zuerst wird ein $\varepsilon\gt 0$ vorgegeben. Dazu muss dann ein passendes $\delta\gt 0$ mit bestimmten Eigenschaften gefunden werden. Dieses $\delta$ hängt in der Regel sowohl von dem $\varepsilon$, wie auch von der Stelle $a$ ab, für die Stetigkeit behauptet wird. Die logische Abhängigkeit zwischen $\varepsilon$ und $\delta$ muss in Fleisch und Blut übergehen.

Die Stetigkeit als Eigenschaft ist uns bereits bei der Konstruktion der reellen Zahlen begegnet (vgl. Satz 1.6.13), und zwar beim Nachweis, dass Summen, Produkte und Quotienten von Intervallschachtelungen wiederum Intervallschachtelungen sind. Wenn wir reelle Zahlen durch Intervallschachtelungen beschreiben, erscheint es natürlich, nur strukturerhaltende Funktionen zu betrachten, also solche, welche Intervallschachtelungen in Intervallschachtelungen abbilden. Dies, so stellt sich heraus, sind genau die stetigen Funktionen: Sind nämlich $a\in \mathbb R$ und $f(a)$ beschrieben durch generische Intervallschachtelungen $\mathcal A$ und $\mathcal S$, zum Beispiel $\mathcal A=a+\left\{\left[ -\delta, \delta\right]\mid \delta \gt 0\right\}$ und $\mathcal S=f(a)+\left\{\left[ -\varepsilon, \varepsilon\right]\mid \varepsilon \gt 0\right\}$, so sollte gelten $f(\mathcal A) \prec \mathcal S$. Das bedeutet insbesondere: Für jedes Intervall $f(a)+[-\varepsilon,\varepsilon] \in\mathcal S$ existiert ein Intervall $a+[-\delta,\delta] \in\mathcal A$ mit \[f\left(a+[-\delta,\delta]\right)\subset f(a)+[-\varepsilon,\varepsilon].\]

Beispiel. Die Funktion $f:\mathbb C\setminus\{0\}\to\mathbb C\setminus\{0\}, z\mapsto \frac1z$ ist in allen Punkten stetig.
Beweis. Seien $a\in\mathbb C\setminus\{0\}$ und $\varepsilon \gt 0$ vorgegeben. Dann sei $\delta :=\frac12\min\{|a|,|a|^2\varepsilon\}$. Für alle $z$ mit $|z-a|\lt \delta$ gilt zuerst einmal $|z|\ge |a|-|a-z|\gt |a|-\delta \gt \frac{|a|}2$ und folglich\[
|f(z)-f(a)|=\left|\frac1z-\frac1a\right|=\frac{|z-a|}{|za|} \lt \frac{2|z-a|}{|a|^2}\lt\frac{2\delta}{|a|^2}\le\varepsilon.
\]

In diesem Beispiel sieht man die Abhängigkeit von $\delta$ sowohl vom Punkt $a\in \mathbb C\setminus\{0\}$, wie von $\varepsilon$. Gelegentlich gilt etwas mehr:

Definition. Es sei $D\subset \mathbb C$. Eine Funktion $f:D\to\mathbb C$ heißt gleichmäßig stetig, wenn es zu jedem $\varepsilon\gt 0$ ein $\delta\gt 0$ gibt derart, dass für alle $z,a\in D$ gilt: Aus $|z-a|\lt\delta$ folgt $|f(z)-f(a)|\lt \varepsilon$.

Beispiele. Die folgenden Funktionen sind gleichmäßig stetig:

  • Die Funktion $\sqrt[n]{\phantom{i}\text{ _ }}:\mathbb R_{\ge 0}\to\mathbb R$.
    Beweis. Zunächst erhalten wir für beliebige $s,t\ge 0$ aus der binomischen Formel die Abschätzung $(s+t)^n\ge s^n+t^n$, und speziell für $s=\sqrt[n]a$ und $t=\sqrt[n]b$ \[\sqrt[n]a+\sqrt[n]b\ge \sqrt[n]{a+b}.\] Für beliebige $x,y\ge 0$ folgern wir daraus:\[|\sqrt[n]x-\sqrt[n]y|\le \sqrt[n]{|x-y|}.\] Damit bekommt man sofort die gleichmäßige Stetigkeit: Ist $\varepsilon\gt 0$ vorgegeben, so sei $\delta=\varepsilon^n$. Für beliebige $z,a\ge 0$ mit $|z-a|\lt \delta$ folgt \[|\sqrt[n]z-\sqrt[n]a|\le \sqrt[n]{|z-a|}\lt \sqrt[n]{\delta}=\varepsilon.\] qed
  • Die konstante Funktion $\mathbb C\to \{c\}\subset \mathbb C$.
  • Die identische Funktion $\mathrm{id}:\mathbb C\to\mathbb C$.
  • Komplexe Konjugation $\overline{\phantom{a}}:\mathbb C\to\mathbb C$.
  • Die Projektionen $\Re,\Im:\mathbb C\to\mathbb R$ auf Real- und Imaginärteil.
  • Der Absolutbetrag $|\text{ _ }|:\mathbb C\to\mathbb R$.

In den letzten Beispielen kann man jeweils $\delta=\varepsilon$ wählen.

Folgenkriterium für Stetigkeit 2.3.1. Es sei $f:D\to\mathbb C$ eine Funktion und $a\in D\subset \mathbb C$. Die folgenden Aussagen sind äquivalent:

  1. Die Funktion $f$ ist in $a$ stetig.
  2. Für jede Folge $(z_n)$ in $D$ mit $\lim z_n=a$ gilt $\lim f(z_n) = f(a)=f(\lim z_n)$.

Beweis.

  1. $\implies 2.$: Es sei $(z_n)$ eine gegen $a$ konvergente Folge und $\varepsilon\gt 0$ vorgegeben. Wegen der Stetigkeit existiert ein $\delta\gt 0$ derart, dass für alle $z\in D$ mit $|z-a|\lt \delta$ gilt $|f(z)-f(a)|\lt \varepsilon$. Da die Folge $(z_n)$ gegen $a$ konvergiert, existiert ein $n_0\in \mathbb N$ derart, dass für alle $n\ge n_0$ gilt: $|z_n-a|\lt \delta$, und nach Konstruktion also auch $|f(z_n)-f(a)|\lt\varepsilon$. Also konvergiert $f(z_n)$ gegen $f(a)$.
  2. $\implies 1.$ Wäre $f$ nicht stetig in $a$, so gäbe es ein $\varepsilon\gt 0$, zu dem für jedes $\delta\ge 0$ ein $z\in D$ existierte mit $|z-a|\lt \delta$, aber $|f(z)-f(a)|\ge \varepsilon$. Insbesondere gäbe es zu jedem $n\in \mathbb N$ ein $z_n\in D$ mit $|z_n-a|\lt \frac1n$ und $|f(z_n)-f(a)|\ge\varepsilon$. Das bedeutet aber $\lim z_n=a$ und $\lim f(z_n)\not= f(a)$, im Widerspruch zur Annahme.

qed

Mit Hilfe dieses Kriteriums lassen sich die Eigenschaften, die wir für Folgen nachgewiesen haben, unmittelbar auf Funktionen übertragen.

Korollar 2.3.2.

  1. Sind $f,g:D\to\mathbb C$ in $a\in D$ stetig, so auch $f+g$ und $fg$.
  2. Sind $f\colon D\to D'\subset \mathbb C$ stetig in $a\in D$ und $g\colon D'\to \mathbb C$ stetig in $f(a)$, so ist auch die Komposition $g\circ f\colon D\to\mathbb C$ stetig in $a$.

Beweis. Es sei $(z_n)$ eine gegen $a$ konvergierende Folge und $*\in \{+,\cdot\}$.

  1. Kombiniert man die Rechenregeln für Folgen mit dem Folgenkriterium, so erhält man \[\lim(f*g)(z_n) =\lim\left(f(z_n)*g(z_n)\right)
    =\lim f(z_n)* \lim g(z_n)
    =f(a)* g(a)
    =(f*g)(a).
    \]
  2. Wiederholte Anwendung des Folgenkriteriums auf $g$ und $f$ liefert \[
    \lim(g\circ f)(z_n) =\lim g\left(f\left( z_n\right)\right)
    =g\left(\lim f(z_n)\right)
    =g\left( f(a)\right)=g\circ f(a).\]

qed

Folgerung.

  • Ist $f\colon D\to\mathbb C$ stetig in $a\in D$, so auch die Funktionen $\Re(f), \Im(f), |f|$, und $\overline{f}$.
  • Ist $f\colon D\to\mathbb C\setminus\{0\}$ stetig in $a\in D$, so auch $\frac1f$.
  • Jedes Polynom $f=\sum_{k=0}^n f_kX^k$ definiert eine stetige Funktion $f\colon \mathbb C\to \mathbb C, z\mapsto \sum_{k=0}^nf_kz^k$.
  • Sind $f,g\colon D\to \mathbb R$ stetig in $a\in D$, so auch \[\max(f,g)=\frac{f+g}2+\frac{|f-g|}2\quad \text{ und } \quad\min(f,g)=\frac{f+g}2-\frac{|f-g|}2\]

Satz 2.3.3. Eine Potenzreihe $f(z)=\sum c_nz^n$ mit Konvergenzradius $R$ ist stetig im offenen Konvergenzkreis $U_R(0)=\{z\in\mathbb C\mid |z|\lt R\}$.

Beweis. Es sei $a\in U_R(0)$ gegeben. Wir fixieren ein $r$ mit $|a|\lt r\lt R$. Dann ist die Reihe $f(z)$ absolut konvergent für $|z|\le r$ und $\sum |c_n|r^n$ ist eine Majorante. Es sei nun ein $\varepsilon\gt 0$ vorgegeben. Dann gibt es ein $n$ mit $\sum_{k=n+1}^\infty|c_k|r^k\lt \varepsilon/3$. Das Polynom $f_n(z)=\sum_{k=0}^nc_kz^k$ ist stetig. Daher gibt es $\delta'\gt 0$ derart, dass für alle $z\in \mathbb C$ mit $|z-a|\lt \delta'$ gilt $|f_n(z)-f_n(a)|\lt \varepsilon/3$. Wir setzen $\delta:=\min\{\delta', r-|a|\}$ und erhalten mit der Dreiecksungleichung $U_\delta(a)\subset U_r(0)\subset U_R(0)$. Für $z\in U_\delta(a)$ folgt nun \begin{aligned}
|f(z)-f(a)|\le & |f(z)-f_n(z)|+|f_n(z)-f_n(a)|+|f_n(a)-f(a)|\\
=& \left|\sum_{k=n+1}^\infty c_kz^k\right|+|f_n(z)-f_n(a)|+\left|\sum_{k=n+1}^\infty c_ka^k\right|\\
\le & \sum_{k=n+1}^\infty|c_k|r^k +|f_n(z)-f_n(a)|+\sum_{k=n+1}^\infty|c_k|r^k\\
\lt & \frac\varepsilon3+ \frac\varepsilon3+ \frac\varepsilon3= \varepsilon.
\end{aligned}qed

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