Heute rechnen wir einmal mit einer Excel-Arbeitsmappe, oft auch Spreadsheet genannt. Eine solche Arbeitsmappe kann ich im elektronischen kommentierten Vorlesungsverzeichnis der Universität, kurz ekVV, aufschlagen. Die meisten von Ihnen haben wahrscheinlich schon mit solchen Arbeitsmappen gearbeitet. Sie sind sehr praktisch und meine Tochter sagt mir, bei ihr auf der Arbeit sei es ihr wichtigstes Werkzeug. Mit einer solchen Arbeitsmappe lassen sich jedenfalls einfache Rechnungen schnell und effizient ausführen.
Wir starten mit der Zahl \(r=\frac{3}{11}\). Das Spreadsheet macht eine Dezimalbruchentwicklung und zeigt das Ergebnis
\[
r=0,272727273
\] auf einige Stellen genau an. Wir wissen, die Dezimalbruchentwicklung einer rationalen Zahl ist periodisch und die letzte angezeigte Ziffer ist gerundet.
Wir berechnen \(A(r)=100r-27\). Diese Operation ist nicht sonderlich spannend:
\[
A\left(\frac{3}{11}\right)=\frac{300}{11}-\frac{297}{11}=\frac{3}{11}.
\] Die Operation \(A\) verschiebt zuerst das Komma um zwei Stellen nach rechts und löscht dann das, was vor dem Komma zu stehen kommt. Bei der gegebenen 2-periodischen Zahl muss also die ursprüngliche Zahl herauskommen. Wir machen die Rechnung auf dem Spreadsheet und sehen, dass zuerst das Erwartete eintrifft, nach Wiederholung diese Zahlen dann zuerst ein bisschen, danach immer stärker von dem richtigen Ergebnis abweichen.
Was ist passiert: Wir können die Genauigkeit der Anzeige im Spreadsheet erhöhen. Es gibt 14 valide Stellen, die 15. Ziffer nach dem Komma ist gerundet, ab der 16. Stelle nach dem Komma werden nur noch Nullen angezeigt. Jede Wiederholung der Operation verringert die Anzahl gültiger Stellen. Dies ist ein ganz allgemeines Phänomen: Wenn wir mit Zahlen rechnen, werden Rundungsfehler bei jedem Rechenschritt größer. Überspitzt formuliert gilt: Der Unsinn wird umso größer, je länger wir herumrechnen.
In der Physik ist dies Problem allgegenwärtig. Wenn Sie Messungen machen, so gibt es immer eine Messgenauigkeit: Eine Badezimmerwaage wiegt auf 2 Stellen genau, eine gute Küchenwaage auf 3 Stellen. Eine Laborwaage bringt es auf 5 Stellen und eine Goldwaage auf 7 Stellen Genauigkeit. Wenn Sie in der Physik im Praktikum Experimente machen, müssen Sie zu jeder Messung eine Fehlerabschätzung machen. Zum Beispiel besagt die thermische Zustandsgleichung eines idealen Gases \[\frac{p\cdot V}{T}=n\cdot R_m.\] Hier ist \(p\) der Druck, \(V\) das Volumen, \(T\) die Temperatur, \(n\) die molare Stoffmenge und schließlich \(R_m\) die molare Gaskonstante. Zur Bestimmung der Gaskonstanten \[R_m=\frac{pV}{nT}\] müssen Sie vier Größen messen, mit jeweils einer zugehörigen Fehlerabschätzung: Jede Rechenoperation (in dem Beispiel oben ist das zweimal das Inverse nehmen und dreimal Multiplizieren) muss dabei berücksichtigt werden und liefert einen Beitrag zum Fehler. In dieser bei allen Physikstudenten beliebten Fehlerrechnung wird der resultierende Fehler für die eigentlich zu bestimmende Größe errechnet. Am Ende ist jede Stelle Genauigkeit ein Grund zum Feiern.
Wenn man es so betrachtet, rechnen die Physiker eigentlich nicht mit Zahlen, sondern mit Intervallen von Zahlen. Jede Messgröße können sie nur bis auf Messgenauigkeit angeben. Ist zum Beispiel ein Objekte \(2\) Meter lang mit mit einer Genauigkeit von einem Millimeter, so heisst das, die Länge sei in dem Längenintervall \[[1999, 2001],\] gemessen in Millimetern. Die physikalischen Formeln sind entsprechend Aussagen über Rechenoperationen mit Intervallen.
Mit der Einführung der reellen Zahlen wischt man all diese Probleme beiseite, als würde es sie nicht geben. Man nimmt an, man könnte beliebig genau messen und man könnte beliebig exakt rechnen.
Die Welt der reellen Zahlen ist eine idealisierte Welt, eine Welt, in der beliebig exakt gemessen werden kann und in der keine Rundungsfehler vorkommen.