Addition und Multiplikation von Intervallschachtelungen

Wir fangen an mit einer Charakterisierung von Intervallen, die sich als praktisch erweisen wird. Es seien \(x_1, \ldots, x_n\in\mathbb K\) Zahlen in einem geordneten Körper. Wir nennen eine Summe \[x=\sum_{i=1}^n\lambda_ix_i\] mit Zahlen \(\lambda_i\in \mathbb K\) eine Konvexkombination der \(x_i\), falls gilt: \[\lambda_i\ge 0\quad\text{für alle }\,i\le n\quad \text{und}\quad \sum_{i=1}^n\lambda_i=1.\]

1.6.10. Lemma. Es seien \(x_1, \ldots, x_n\) endlich viele Zahlen in einem geordneten Körper \(\mathbb K\) und \[a:=\min_{1\le i\le n}(x_i)\quad\text{und}\quad b:=\max_{1\le i\le n}(x_i).\] Dann ist das Intervall \([a,b]_{\mathbb K}=\{k\in \mathbb K\mid a\le k\leq b\}\) die Menge aller Konvexkombinationen der \(x_i\).

Beweis. Ist $b=a$, so ist die Aussage offensichtlich. Ist ansonsten \(y\in [a,b]_{\mathbb K}\), so gelten für \[\mu:=\frac{y-a}{b-a}\] die Ungleichungen \(0\le \mu\le 1\) und \[y=a+\mu(b-a)=(1-\mu) a+\mu b.\] Insbesondere ist \(y\) eine Konvexkombination von \(a\) und \(b\) und damit eine, wenngleich sehr spezielle, Konvexkombination der \(x_i\). Umgekehrt folgt aus dieser Gleichung sofort, dass jede Konvexkombination der Endpunkte \(a\) und \(b\) ein Element des Intervalls \([a,b]_{\mathbb Q}\) ist.

Sei nun \(\sum_i\lambda_ix_i\) eine Konvexkombination der \(x_i\). Nach dem bereits Gezeigtem ist jedes \(x_i\) selbst eine Konvexkombination \(x_i=(1-\mu_i)a+\mu_ib\) der Endpunkte des Intervalls \([a,b]_{\mathbb Q}\) und es gilt: \[\sum_i\lambda_ix_i=\sum_i\left(\lambda_i\left(1-\mu_i\right)a+\lambda_i\mu_ib\right)=\left(\sum_i\left(\lambda_i-\lambda_i\mu_i\right)\right)a+\left(\sum_i\lambda_i\mu_i\right)b.\] Wegen \(0\le \mu_i\le 1\) für alle \(i\) sind die Koeffizienten \(\sum_i\left(\lambda_i-\lambda_i\mu_i\right)\) und \(\sum_i\lambda_i\mu_i\) beide nicht negativ und es gilt \[\sum_i\left(\lambda_i-\lambda_i\mu_i\right)+ \sum_i\lambda_i\mu_i=\sum_i\lambda_i=1.\] Folglich ist \(\sum_i\lambda_ix_i\in [a,b]_{\mathbb K}\) als Konvexkombination der beiden Endpunkte.
qed

Wie bereits in den Übungsaufgaben, definieren wir für beliebige Teilmengen \(A,B\) eines Körpers deren Summe und Produkt wie folgt:
\begin{align}
A+B &= \left\{ a+b \mid a\in A, \; b\in B\right\}\\
A\cdot B &= \left\{ a\cdot b \mid a\in A, \; b\in B\right\}
\end{align}

1.6.11. Korollar. Für Intervalle in einem geordneten Körper \(\mathbb K\) gilt:

  1. \([a,b]_{\mathbb K} + [c,d]_{\mathbb K} = [a+c,b+d]_{\mathbb K}\)
  2. \( [a,b]_{\mathbb K} \cdot [c,d]_{\mathbb K} = [m,M]_{\mathbb K}\) mit \(m=\min(ac,ad,bc,bd),M=\max(ac,ad,bc,bd)\).

Beweis. Gilt \(a=b\) und \(c=d\), so ist nichts zu zeigen. Ansonsten müssen wir jeweils zeigen, dass die Menge auf der linken Seite der Gleichung enthalten ist in der Menge auf der rechten Seite und umgekehrt.

    • "\(\subset\)": Seien Konvexkombinationen \(x=a+\lambda(b-a)\) und \(y=c+\mu(d-c)\) mit \(0\le \lambda,\mu\le 1\) gegeben. Dann ist \(x+y=(a+c)+\delta\left((b+d)-(a+c)\right)\) mit \[\delta=\frac{\lambda(b-a)+\mu(d-c)}{(b+d)-(a+c)}\] eine Konvexkombination von \(a+c\) und \(b+d\).
    • "\(\supset\)": Eine Konvexkombination \(z=\lambda_1(a+c)+\lambda_2(b+d)\) mit \(\lambda_1+\lambda_2= 1\) ist Summe der beiden Konvexkombinationen \(x=\lambda_1a+\lambda_2b\) und \(x=\lambda_1c+\lambda_2d\).
    • "\(\subset\)": Seien Konvexkombinationen \(x=\lambda_1a+\lambda_2b\) und \(y=\mu_1c+\mu_2d\) mit \( \lambda_1+\lambda_2=\mu_1+\mu_2= 1\) gegeben. Dann ist \[
      xy= \lambda_1\mu_1ac+\lambda_2\mu_1bc+\lambda_1\mu_2ad+\lambda_2\mu_2bd
      \] Konvexkombination der Zahlen \(ac,ad,bc,bd\).
    • "\(\supset\)": Dies folgt aus der Gleichung \[\left(\{a,b\}\times[c,d ]_{\mathbb K}\right)\cup \left([a,b]_{\mathbb K}\times\{c,d\}\right)=[m, M]_{\mathbb K},\] da die linke Seite offensichtlich eine Teilmenge des Produktes der beiden Intervalle ist. Diese linke Seite ist die Vereinigung aus denjenigen Intervallen mit Intervallgrenzen $ac,ad,bc,bd$, bei denen einer der Buchstaben jeweils in beiden Intervallgrenzen als Faktor auftaucht. Die beiden Werte $m$ und $M$ sind die kleinsten und größten dieser vier Intervallgrenzen. Taucht einer der Faktoren $a,b,c,d$ sowohl als Faktor in $m$, als auch als Faktor in $M$ auf, so ist die Behauptung offensichtlich. Andernfalls betrachten wir \(u\in \{ac,ad,bc,bd\}\setminus \{ m,M\}\). Einer der beiden Faktoren in \(u\) ist Faktor in $M$, der andere ist Faktor in $m$. Aus \[[m, M]_{\mathbb K}=[m, u]_{\mathbb K}\cup [u, M]_{\mathbb K}\] folgt damit die Behauptung.

qed

Nun ist es klar, wie wir Summe und Produkt von Intervallschachtelungen zu definieren haben: Gegeben Intervallschachtelungen \(\mathcal S\) und \(\mathcal T\), so setzen wir \[\begin{align}
\mathcal S+\mathcal T&:=\{I+J\mid I\in\mathcal S,J\in \mathcal T\}\\
\mathcal S \cdot \mathcal T&:=\{I\cdot J\mid I\in\mathcal S,J\in \mathcal T\}.\end{align}\] Bevor wir weiter gehen, müssen wir uns aber erst vergewissern, dass wir hier keinen Unsinn machen.

1.6.12. Satz. Summen und Produkte von generischen Intervallschachtelungen sind generische Intervallschachtelungen.

Beweis. Seien \(\mathcal S\) und \(\mathcal T\) generische Intervallschachtelungen. Wir müssen drei Bedingungen nachprüfen, jeweils für Summe und Produkt; falls ein Argument sowohl für Summe, als auch für Produkt gilt, benutzen wir \(\ast\) als Statthalter für \(\cdot\) und \(+\). Wir nennen eine Ungleichung strikt, wenn Gleichheit ausgeschlossen wird.

  1. Zu je zwei Intervallen gibt es ein drittes im Durchschnitt der beiden: Es seien \(I\ast J\) und \(I'\ast J'\) in \(\mathcal S\ast\mathcal T\) gegeben. Nach Voraussetzung gibt es ein \(I''\subset \left(I\cap I'\right)\in\mathcal S\), sowie ein \(J''\subset \left(J\cap J'\right)\in\mathcal T\). Das Intervall \(I''\ast J''\) ist dann offensichtlich sowohl in \(I\ast J\), wie auch in \(I'\ast J'\) enthalten, also auch in deren Durchschnitt.
  2. Zu jedem Intervall gibt es ein darin enthaltenes, das keines der Ränder trifft: Sei \([a,b]_{\mathbb Q}\ast [c,d]_{\mathbb Q}\in \mathcal S\ast\mathcal T\) und seien \([a',b']_{\mathbb Q}\in \mathcal S\) und \( [c',d']_{\mathbb Q}\in\mathcal T\) Intervalle mit \(a\lt a'\lt b'\lt b\) sowie \(c\lt c' \lt d'\lt d\). Die Inklusion \[[a',b']_{\mathbb Q}\ast [c',d']_{\mathbb Q}\subset [a,b]_{\mathbb Q}\ast [c,d]_{\mathbb Q}\] ist offensichtlich gegeben. Wir müssen zeigen, dass die Ränder des größeren Intervalls nicht vom kleineren Intervall getroffen werden. Im Fall der Addition reicht es zu zeigen, dass $$a+c\lt a'+c'\lt b'+d'\lt b+d$$ gilt. Das ist aber offensichtlich der Fall. Im Fall der Multiplikation müssen wir die Ungleichungen \[\begin{align}m:=\min(ac,ad,bc,bd)&\lt \min(a'c',a'd',b'c',b'd')=:m'\\ M':=\max(a'c',a'd',b'c',b'd')&\lt \max(ac,ad,bc,bd)=:M\end{align}\] nachweisen. Wir wählen \(x'\in\{a',b'\}\) und \(y'\in\{c',d'\}\) und benutzen die strikten Ungleichungen \(a\lt x'\lt b\) und \(c\lt y'\lt d\).
    • Gilt $x'=y'= 0$, so gilt auch $b,d\gt 0$ und $a,c\lt 0$ und folglich \[m\le ac\lt 0=x'y'\lt bd\le M.\]
    • Ist $y'\not= 0$, so multiplizieren wir die beiden strikten Ungleichungen \(a\lt x'\lt b\) mit $y'$ und erhalten strikte Abschätzungen des Produkts $x'y'$ nach oben und nach unten durch die beiden Werte $ay'$ und $by'$. Welcher der beiden Werte nach oben und welcher nach unten abschätzt, hängt vom Vorzeichen von $y'$ ab. Es gilt jedenfalls \[\min(ay',by')\lt x'y'\lt \max(ay',by').\] Multiplizieren wir die beiden Ungleichungen \(c\lt y'\lt d\) jeweils mit $a$ und $b$, so erhalten wir in analoger Weise Abschätzungen \begin{align}\min(ac,ad)\le ay'&\le \max(ac,ad)\\\min(bc,bd)\le by'&\le \max(bc,bd). \end{align} Diese Abschätzungen sind eventuell nicht strikt, falls etwa $a$ oder $b$ gleich Null sein sollte. Die Kombination dieser Abschätzungen liefert \[m=\min(ac,ad,bc,bd))\le \min(ay',by')\lt x'y'\lt\max(ay',by')\le\max(ac,ad,bc,bd)=M. \] Der Fall $x'\not= 0$ ist natürlich völlig analog.

    Insgesamt erhalten wir für jedes Element \(u'\in \{ a'c',a'd',b'c',b'd' \}\) eine strikte Ungleichung $m\lt u'\lt M$. Setzt man $u'=m'$ und $u'=M'$, so erhält man insbesondere $m\lt m'$ und $M'\lt M$.

  3. Es gibt beliebig kleine Intervalle in \(\mathcal S\ast\mathcal T\). Dies folgt aus dem nächsten Satz (1.6.13) und der Tatsache, dass in $\mathcal S$ und $\mathcal T$ beliebig kleine Intervalle existieren.

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Den interessantesten Teil des Beweises von (1.6.12) formulieren wir als eigenständige Aussage.

1.6.13. Satz. Es bezeichne $\mathcal S\ast\mathcal T$ die Summe oder das Produkt generischer Intervallschachtelungen. Für jedes $\varepsilon\gt 0$ existiert ein $\delta\gt 0$, so dass gilt: Sind die Längen der Intervalle $I\in \mathcal S$ und $J\in \mathcal T$ jeweils kleiner als $\delta$, so ist die Länge des Intervalls $I\ast J\in \mathcal S\ast\mathcal T$ kleiner als $\varepsilon$.

Beweis. Im Falle der Summe setzen wir $\delta=\frac12\varepsilon$. Seien $I=[a,b]_{\mathbb K}\in\mathcal S$ und $J=[c,d]_{\mathbb K}\in \mathcal T$ mit $\vert a-b\vert\lt \delta$ und $\vert c-d\vert \lt \delta$ gegeben. Dann kann die Länge des Intervalls $I+J=[a+c,b+d]_{\mathbb K}$ abgeschätzt werden durch \[ \vert(a+c)-(b+d)\vert\le \vert a-b\vert+\vert c-d\vert\lt \frac\varepsilon2+\frac\varepsilon2=\varepsilon.\]
Im Falle des Produkts starten wir mit beliebigen \([a',b']_{\mathbb Q}\in\mathcal S\) und \([c',d']_{\mathbb Q}\in\mathcal T\). Wir setzen \(A=\max\left(\vert a'\vert, \vert b'\vert,\vert c'\vert,\vert d'\vert\right)+1\) und \[\delta=\min\left(\frac\varepsilon{4A},1\right).\] Seien nun Intervalle \(I=[a,b]_{\mathbb Q}\in\mathcal S\) und \(J=[c,d]_{\mathbb Q}\in\mathcal T\) der Längen $\vert a-b\vert\lt \delta$ und $\vert c-d\vert \lt \delta$ gegeben.
Zuerst zeigen wir, dass dann gilt \(A \ge \max(\vert a\vert, \vert b\vert,\vert c\vert,\vert d\vert)\). Dazu benutzen wir, dass die Intervalle \([a,b]_{\mathbb Q}\) und \([a',b']_{\mathbb Q}\) einen nicht-leeren Durchschnitt besitzen. Ist etwa \(x \in\left([a,b]_{\mathbb Q}\cap [a',b']_{\mathbb Q}\right)\) ein Element des Durchschnitts, so gelten die beiden Ungleichungsketten \begin{align} -A+1\le a'\le &\,x\le b\le a+\delta\le a+1 \\ b-1\le b-\delta \le a\le&\,x\le b'\le A-1. \end{align} In der Begründung betrachten wir nacheinander die einzelnen Ungleichungen in der oberen Zeile von links nach rechts und gleichzeitig in der unteren Zeile von rechts nach links: Zuerst wenden wir die Definition von \(A\) an, sodann dass gilt \(x\in [a',b']_{\mathbb Q}\), danach dass gilt \(x\in [a,b]_{\mathbb Q}\), es folgen die Beschränkungen \(b-a\lt \delta\) und schließlich \(\delta\le 1\). Kombiniert mit der Ungleichung \(a\lt b\), ergeben die beiden Ungleichungsketten die Abschätzungen \( -A\le a \lt b\le A\) und folglich \(\vert a\vert,\vert b\vert\le A\). In analoger Weise erhält man \(\vert c\vert,\vert d\vert\le A\).
Nun benutzen wir, wie bereits im Beweis von (1.6.11), die Tatsache, dass das Intervall \(I\cdot J=[m,M]_{\mathbb Q}\) überdeckt wird von vier Teilintervallen \[\left(\{a,b\}\times[c,d ]_{\mathbb Q}\right)\cup \left([a,b]_{\mathbb Q}\times\{c,d\}\right)=[m, M]_{\mathbb Q}.\] Die Länge des Intervalls \(I\cdot J\) ist also nach oben beschränkt durch die Summe der Längen der vier Teilintervalle: \[\vert M-m\vert\le \left(\vert a\vert\cdot \vert c-d\vert \right) +\left(\vert b\vert\cdot \vert c-d\vert \right) +\left(\vert a-b\vert\cdot \vert c\vert \right) +\left(\vert a-b\vert\cdot \vert d\vert \right) \lt 4\cdot A\cdot \delta = \varepsilon.
\]qed

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